Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
rasendmachende Piepslachen. »Das haben schon andere vor Ihnen gesagt, Herzchen. Andere, die vielleicht mehr dazu berufen waren. Und haben's doch nicht erreicht. Die Leiter der Kunst erklimmt sich nicht so leicht. Still, Fidelio, jetzt rede ich. Mag ja für solch junges Dingelchen recht verlockend sein, das buntschillernde Theaterleben. Aber viel mehr als dieser vertrocknete Lorbeer hier an der Wand kommt dabei nicht heraus. Selbst wenn Sie einer von den sogenannten 'Stars' werden, was ich vorläufig noch bezweifle.«
Ursel überlegte allen Ernstes, ob sie dieser bonbonlutschenden Frau, die eine so geringe Meinung von ihr hatte, überhaupt noch weiter Rede und Antwort stehen sollte. Aber es war doch immerhin die Gerstinger, die zur Zeit, als ihre Mutter noch ein junges Mädchen gewesen war, eine große Rolle gespielt hatte. Darum sagte sie: »Ich stelle es mir wundervoll vor, so viele Lorbeeren zu ernten. Selbst, wenn sie später auch vertrocknet sind.«
»Davon können Sie nicht leben, Herzchen, von vertrocknetem Lorbeer. Man wird vergessen, in die Rumpelkammer geschoben, nicht wahr, Fidelio?« Das Wollknäuel gab seine Zustimmung in den höchsten Tönen zu erkennen. »Wenn ich meine Stunden nicht hätte, ah - da schellt es schon wieder. Wohl schon Ihre Nachfolgerin. So - nun singen Sie noch mal zum Schluß do - re - mi - fa - sol - nicht die Stimme heben - aus dem Zwerchfell - Flankenatmung - ich muß fühlen, wie sich hier seitlich alles dehnt und weitet.« Zum Kuckuck noch eins, da sollte ein Mensch singen, wenn ein anderer einem dabei die Magengegend eindrückt. Und noch dazu vor Publikum. Eine Dame hatte inzwischen grüßend das Zimmer betreten. Ursel war froh, als sie selbst dann verabschiedet wurde. Fidelio gab ihr an Stelle seiner Herrin höflich das Geleit. Das war also ihre erste Gesangstunde! Ursel stand draußen auf der Treppe und wußte nicht, ob sie heulen oder lachen sollte. Und darauf hatte sie sich tagelang gefreut, hatte die Zeit gar nicht erwarten können. Ja, war denn das Leben wirklich so, daß alles, worauf man so hohe Erwartungen setzte, mit einer Enttäuschung antwortete?
Nein - nein - nein - sich nicht unterkriegen lassen! Sich durchsetzen! Ursel ballte temperamentvoll die Fäuste. Zeigen, daß sie imstande war, was sie sich vorgenommen hatte, auch zu erreichen. Aber wenn Frau Gerstinger recht hatte, wenn sie wirklich nur ein Stimmchen besaß? Ach Unsinn! Sich nur nicht ins Bockshorn jagen lassen. Hatte Tante Vera nicht gestern erst gesagt, das Mädel habe einen wahren Schatz in der Kehle? Na ja, das waren die lieben Tanten, die leicht begeistert waren, wie Frau Gerstinger meinte. Solch eine Künstlerin hatte entschieden mehr Ahnung, ihr Urteil war natürlich das maßgebende. Aber konnte Frau Gerstinger denn überhaupt schon ein Urteil haben? Bei den dämlichen Dododo-Übungen vermochte kein Mensch eine Stimme zu begutachten. Aber sie würde schon weiterkommen. Mal würde sie auch Lieder und Arien singen und dann - dann gab es vielleicht wieder solch eine Enttäuschung wie heute. War es nicht das beste, die Stunde bei der Gerstinger gleich wieder aufzugeben? Ein anderer Lehrer würde ihre Stimme vielleicht besser zu würdigen wissen. Aber nein, diese Blamage, wenn sie gleich auf der ersten Stufe ihrer geliebten Kunst Schiffbruch erlitt. Der Vater würde sich auch bestimmt nicht bereit finden lassen, so schnell zu einem anderen abzuschwenken. Der war für konsequentes Durchführen einer begonnenen Sache. Geradeso wie bei ihrem Bankfach. Sie hatte die grauen, stumpfsinnigen Arbeitstage auf der Bank überhaupt nur zu ertragen vermocht, weil sie es für eine bald erledigte Angelegenheit hielt, nur für ein Intermezzo. Gleich in der ersten Gesangstunde mußte es sich ja erweisen, daß sie zu etwas ganz anderem bestimmt war. Und nun?
Eine dicke Träne löste sich von den langen, weichen Wimpern, rann das Näschen entlang und wurde von den Lippen schleunigst aufgefangen. Eine Wutträne war's - hatte auch keiner der Vorübergehenden etwa gesehen, daß sie wie ein Gör auf der Straße heulte? Ursel hielt Umschau. Unweit am Eingang der Untergrundbahn stand ein junger Herr, der belustigt mit angeschaut hatte, wie sie die Träne aufleckte. Wohl einer von den vielen Ausländern, die man hier in dieser Gegend häufig sah. Wenigstens ließen der bronzefarbene Ton seiner Gesichtsfarbe, die brennendschwarzen Augen darauf schließen. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, wollte Ursel an ihm
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