Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
wünsche.
»Sprechen Sie deutsch, Sie sind doch kein Franzose«, rief Ursel ärgerlich, daß sie sich so unwissend anstellte.
»Nicht Francais - Portugiese«, sagte er stolz.
»Na ja, wenn Sie ein Portugiese sind, dann reden Sie deutsch.« Diese Logik war zwar etwas merkwürdig, aber Milton Tavares ging nicht weiter darauf ein. Er legte verschiedene Notenbände vor sie hin. »Der oder dies oder das?« fragte er, indem er sich Mühe gab, deutsch zu sprechen.
»Dies - das Violinkonzert von Beethoven.« Die junge Dame schlug die ersten Töne an. Ursel Hartenstein war eine gute Klavierspielerin. Im Ensemblespiel hatte sie allerdings wenig Übung. Trotzdem fühlte sie sich von den Klängen der Geige mitgerissen, getragen. Keiner von beiden vernahm das Knarren der Tür. Sie waren beide versunken in der Welt der Töne.
»Na, nu heert sich aber alles auf. Nu macht er unser Urselchen auch noch mit seiner Musike varrickt. Ursel - Kind - Jroßmamachen is eben gekommen. Ich denke, du wolltest ihr besuchen.« Hanne war empört, daß der Brasilianer Ursel ganz und gar mit Beschlag belegte.
Ursel vernahm Hannes polternde Stimme nur so, wie man im Walde beim Jubilieren der Vögel das Knarren eines Astes empfindet. Man beachtet es kaum. Auch Großmamas sanfte Stimme verklang. Sie spielten - spielten -. Endlich ließ Ursel die Finger von den Tasten gleiten. Ihr Partner zog den letzten Bogenstrich. Still, noch ganz im Bann des Gespielten, schaute sie vor sich hin.
»Das war herrlich!« kam die Stimme der Großmama von weit her zu Ursel.
»Oh, merci bien - ich nie spielen mit mehr guter Pianist, marovilhosa - wundervoll!«
Milton Tavares ergriff begeistert Ursels Hände.
Da flammte das elektrische Licht auf - der Bann, der Ursel umfangen hatte, zerriß. »Na, in 'n Stockdustern brauchen wa auch nich zu sitzen«, ließ sich Hanne knurrig vernehmen, während Ursel die Großmama begrüßte. Da erst sah sie, daß sich noch mehr Zuhörer eingefunden hatten.
Ein kleines, schmalschultriges Ding von eidechsenhafter Schlankheit. Der zierliche Kopf schien die schwere Pracht des blauschwarzen Haares kaum tragen zu können. Samtdunkle Augen strahlten Ursel entgegen. Das war Margarida Tavares.
»O marovilhosa - magnifique!« Ohne erst die Vorstellung abzuwarten, ergriff die kleine Brasilianerin Ursels Hände.
»Ma soeur - mein Schwester«, verbesserte sich der junge Geigenkünstler schnell, eingedenk Ursels Wunsch, daß er deutsch sprechen sollte.
»Gefällt es Ihnen bei uns in Deutschland?« begann Ursel die Unterhaltung.
Obwohl sie selbst nur mittelgroß war, kam sie sich diesem kleinen, zerbrechlichen Nippfigürchen gegenüber wie eine Riesin vor.
»Oh, je ne comprends pas.« Fragend blickte das junge Mädchen den Bruder an. Der schien doch noch mehr deutsche Sprachkenntnisse zu besitzen als sie. Er übersetzte Ursels Frage ins Portugiesische und spielte den Dolmetscher. »Serr gutt.«
»Tres bien - serr gutt«, wiederholte auch die Schwester und ließ sogleich einen unverständlichen portugiesischen Redeschwall folgen.
»Mein Schwester liebt zu haben lecon de musique bei Sie«, dolmetschte Milton Tavares aufs neue und wies dabei auf Ursel.
»Was - Musikstunde will sie bei mir nehmen? Ich lerne ja selbst noch.« Ursel kam die Sache so komisch vor, daß sie hellauf lachte. Die Brasilianerin stimmte mit ein, ohne zu wissen, warum. Es klang wie ein feines silbernes Glöckchen.
»Oh, Sie, Sie spielen admirable. Mein Schwester wird sein heureuse, zu haben lecon bei Sie«, drang der Brasilianer. »Und ich werde sein heureux aussi, zu spielen mit Sie.« Seine dunklen Augen baten noch mehr als sein unberedter Mund.
Regelmäßiges Zusammenspiel mit diesem jungen Violinkünstler - ja, das wäre schön. Und auch dem reizenden jungen Mädchen Unterricht zu geben, würde Ihr Freude machen. Aber durfte sie sich das denn überhaupt zutrauen?
»Omamachen, was meinst du?« Ursel wandte sich an die, welche immer noch Rat gewußt hatte, wenn eins der Enkelkinder mal in Bedrängnis gewesen war.
»Ja, Urselchen, was soll ich dazu sagen? Wenn du Lust hast und wenn es sich mit deinen Berufsstunden vereinigen läßt, kannst du es ja mal versuchen. Für mich wäre es eine große Freude, dich dadurch öfters hier zu haben. Ein bißchen egoistisch darf doch deine alte Omama sein, nicht wahr?«
Ursel streichelte zärtlich das liebe, alte Gesicht. »Einmal in der Woche könnte ich es einrichten. Vielleicht Donnerstag nach Schluß der Bank. Würde es
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