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Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste

Titel: Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Else Ury
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heute eine aus deiner ersten Gesangstunde mit davon, als später aus dem Leben.« Ursel lehnte den Blondkopf an der Mutter Schulter. Ihre Empörung ebbte allmählich ab. »Na, meinetwegen, dann will ich es noch mal mit der Gesangstunde versuchen«, sagte sie schließlich, ruhiger geworden.

Exotische Pensionäre
     
    In der stillen Straße in Charlottenburg, in der Brauns einstiges Nesthäkchen das Licht der Weh erblickt hatte, durch die es seinen Puppenwagen geschoben und mit der Schulmappe einhergehopst war, hatte sich nichts verändert. Wieder sprang ein goldhaariges Mädel leichtfüßig die Treppen zur Braunschen Wohnung hinauf, wenn es auch nicht mehr die Annemarie Braun war, sondern deren Nesthäkchen. Wieder läutete es Sturm droben an der Eingangstür. Wieder hörte man Hannes beruhigende Stimme: »Na, sachteken - sachteken - man immer mit de Ruhe.«
    Hanne, ja, an der waren die Jahre doch nicht so spurlos vorübergegangen, obwohl die Braunschen Jungen sie früher respektlos »altes Haus« genannt hatten. Ein altes Mütterchen öffnete Ursel. Aber die Freude, die das alte Gesicht beim Anblick des jungen Besuches verklärte, war noch dieselbe wie früher, wenn Brauns Nesthäkchen heimgekommen war. »Unser Kind - unser Urselchen, das is aber mal schöneken! Hast dir ja so lange nich bei uns sehen lassen, Herzeken. Na ja - weiß schon, bist ja jetzt Tippmamsell oder sowas Ähnliches bei de Börse. Jroßmamachen is aufn Momang runterjejangen, man bloß aufn Sprung, Besorjungen machen.«
    »Sagen Sie mal, Hanne, sind denn eure Brasilianer zu Hause?« Das war Ursel heute das wichtigste.
    »I, jewiß doch. Vorhin hab' ich ihn noch auf seine Jeije rummurksen hören. Nu jeh man immer rein, Urselchen, ich komm' jleich nach, und denn können wa uns jemietlich was erzählen.«
    Hanne verschwand in den Gang, der zur Küche führte. Ursel betrat das Speisezimmer. Das war jetzt gemeinsames Wohn- und Eßzimmer der Braunschen Pensionäre geworden. Frau Braun hatte nach dem Tode ihres Mannes von ihrer Achtzimmerwohnung nur ihr Schlafzimmer und Annemaries ehemalige Kinderstube behalten. Alles andere war vermietet. Die Brasilianer bewohnten drei Vorderzimmer mit Balkon. Das Erkerzimmer, in dem früher Dr. Braun praktizierte, hatte eine Amerikanerin schon seit einem Jahre inne. In dem letzten Zimmer hauste ein Schweizer Student.
    Als Ursel die Tür zum Speisezimmer öffnete, vernahm sie abgerissene Geigentöne. Jemand stand am Klavier und stimmte sein Instrument. Das traf sich ja prächtig. Der Geiger hatte ihren Eintritt überhört. Er wandte ihr den Rücken. Jetzt begann er zu spielen. Aha - ein Konzert von Paganini. Ursel erkannte es sofort. Donnerdoria - der konnte was. Ursel rührte sich nicht. Sie lauschte wie gebannt.
    »Jotte doch, Urselchen, du stehst ja noch immer hier an de Türe!« Hanne erschien mit einem Imbiß. »Komm man ruhig näher, Kind.« Klirrend setzte sie ihr Tablett auf den Tisch.
    »Schsch, Hanne« - bedeutete ihr Ursel.
    »Ach, der vasteht ja keen Deutsch nich, man bloß so'n komisches. So, nu trink man deinen Kakau, Herzeken, daß er nich erst kalt wird. 'Ne Butterschrippe hab' ich dich auch jeschmiert.«
    Der in seiner musikalischen Andacht gestörte Geiger schloß mit einem improvisierten Akkord.
    »Bravo!« sagte Ursel begeistert. Erstaunt wandte der Künstler den Kopf.
    Diese schwarzen Augen, der kühngeschnittene Mund - das war kein anderer als der Herr aus der Untergrundbahn.
    Daß auch Ursel wiedererkannt worden war, zeigte ihr das Lachen des Fremden. »Ah, charmante - charmante!« rief er erfreut aus. Und dann, seiner Kavalierspflicht eingedenk, machte er der versteinerten jungen Dame eine tiefe Verbeugung. »Milton Tavares«, sagte er dabei, sich vorstellend.
    Also das war Milton Tavares, Großmamas interessanter Brasilianer. Nein, war das komisch.
    Die alte Hanne wußte, was sich gehört. Nicht umsonst war sie nun schon bald ein halbes Jahrhundert in einer gebildeten Familie. Sie zog Ursel zu dem Tisch heran und sagte dabei, ebenfalls vorstellend: »Unsere Enkelin.« »Engelin«, wiederholte Milton Tavares.
    »Enkelin«, verbesserte Ursel belustigt. »Aber nicht etwa die von Hanne, sondern von meiner Großmutter, Frau Braun«, setzte sie erklärend hinzu.
    »Jib dich man bloß erst jar keine Mühe nich, Herzeken. Wenn de denkst, er hat dir verstanden, denn biste schiefjewickelt. Unsere Enkelin is das«, schrie sie dem Ausländer ins Ohr.
    »Engelin«, wiederholte der strahlend, »oh, je

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