Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
Einmal in der Woche fand der Unterricht bei Frau Braun statt, damit auch die Großmama ihr Teil an Ursel hatte. Zur zweiten Stunde kamen die Brasilianer nach Lichterfelde hinaus, wo sie bald gern gesehene Gäste waren. Die kleine schmiegsame Margarida hatte sich in begeisterter Zuneigung ihrer jungen, deutschen Lehrerin angeschlossen, die nicht viel älter war als sie selbst. Es war erstaunlich, was für Fortschritte die junge Ausländerin bei Ursels deutschem Unterricht gemacht hatte. Sie verstand bereits alles, was man zu ihr sprach, und wenn auch ihre eigene deutsche Ausdrucksweise noch öfters entgleiste, so gab dies nur Anlaß zur allgemeinen Heiterkeit. Margarida Tavares war ein graziöses Püppchen, ein Luxusgeschöpfchen, das daheim vom Glück verhätschelt worden und keinen Ernst, keine Arbeit bisher kennengelernt hatte. Die überließ man drüben in Amerika den Männern. Die waren dazu da, das Geld, das die Frauen mit vollen Händen ausgaben, herbeizuschaffen; die Frauen hatten nur schön zu sein und sich verwöhnen zu lassen. Das waren ungefähr die Ansichten, die in dem Köpfchen der jungen Brasilianerin wohnten.
Ursel, die niemals sehr begeistert war von allem, was Arbeit hieß, stand doch solch einem Luxusdasein kopfschüttelnd gegenüber. Sie hatte ihr Leben lang emsige, treueste Pflichterfüllung im elterlichen Hause vor sich gesehen, und wenn auch sie selbst manchmal dagegen gestreikt hatte, der gute Boden, dem sie entwachsen war, verleugnete sich nicht. Darum vermochte sie auch nicht, sich Margarida so mit ganzem Herzen anzuschließen, wie das umgekehrt der Fall war. Das anmutige, oberflächliche Ding genügte ihr nicht. Sie blickte, obwohl sie sich früher immer ein Leben ohne Arbeit beneidenswert vorgestellt hatte, ein wenig mitleidig auf die sorglos in den Tag hineinlebende junge Ausländerin. Der Bruder, Milton Tavares, war aus einem ganz anderen Holz. Der war schon früh von dem Vater in alles eingeführt worden, was eine große Kaffeeplantage, von der Anpflanzung des Kaffeestrauches an bis zum Versand der Bohnen, in alles, was solch ein weitverzweigtes überseeisches Exportgeschäft mit sich bringt.
Trotz seiner großen Liebe zur Musik stand Milton Tavares auf dem nüchtern realen Standpunkt des Amerikaners. »Make money«, das war die Hauptsache im Leben. Das große Unternehmen, das schon durch Generationen hindurch in den Händen der Tavares lag, galt es weiter zu fördern, immer weiter auszubauen. Das war das Lebensziel, auf welches alle Tavares hinsteuerten. Die Musik war nicht dazu da, um Geld damit zu verdienen, sondern um sich von dem Geldverdienen zu erholen. Milton Tavares war glücklich, daß ihm sein Aufenthalt in Deutschland nicht nur die Möglichkeit gab, kaufmännische Kenntnisse zu sammeln, sondern daneben auch deutsche Musik kennenzulernen und zu studieren. Er war als Volontär in einem großen Berliner Exporthaus tätig, nur einige Stunden des Tages, so daß ihm noch genug Zeit für die Musik übrigblieb. Bei einem der ersten Kammermusiker Berlins hatte er Violinunterricht, aber das machte ihm, obwohl er glänzende Fortschritte zu verzeichnen hatte, lange nicht soviel Freude wie das Zusammenspiel mit Ursel Hartenstein. Auch Ursel dachte eigentlich, wenn sie sich auf die Musikstunde mit den Brasilianern am Abend freute, in erster Reihe an ihr Ensemblespiel mit Milton. Und wenn er sie, was stets den Abschluß bildete, zuletzt zum Gesang begleitete, dann setzte sie ihr ganzes Können ein, um so schön, wie nur irgend möglich, zu singen. Es war geradezu wunderbar, was Ursel in den wenigen Monaten ihres Gesangstudiums erreicht hatte. Leicht und mühelos erreichte sie all das, woran andere jahrelang zu studieren hatten. Frau Gerstinger sowohl wie ihr Fidelio waren äußerst stolz auf die begabte Schülerin. Schon hatte sie das Abc der eintönigen Übungen hinter sich gelassen und hatte zu Liedern übergehen dürfen. Oh, sie war stolz, als sie zum ersten Mal ein Wiegenliedchen singen durfte. Auch der Vater, der hochmusikalisch war und ihre unermüdlichen Übungsstunden öfters belauschte, war ebenso erstaunt über die Fortschritte wie über die Ausdauer, die seine Jüngste bisher noch bei keiner Tätigkeit an den Tag gelegt hatte. Wenn sie sich nur in der Bank halb soviel Mühe geben wollte. Bei einem vertraulichen Gespräch, das der Professor jüngst mit dem Bankdirektor Hildebrandt gehabt hatte, konnte der es ihm leider nicht verhehlen, daß seine Tochter sich zwar die Herzen
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