Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
sämtlicher Kolleginnen und Kollegen durch ihren Liebreiz erworben hätte, aber nach der Aussage des Herrn Müller sowenig tauglich für das Bankfach sei wie er selbst zum Seiltanzen. Aber immerhin - vielleicht machte es sich noch.
An dieses »vielleicht machte es sich noch« hielt sich der Professor, wenn ihm dann und wann Bedenken aufstiegen, ob Ursel in der Bank wohl doch nicht am richtigen Orte sei. Als kluger Mann war Professor Hartenstein selbst dafür, jeden Menschen seiner Befähigung nach an den Platz zu stellen, an dem er etwas zu leisten vermochte. Wenn es nur nicht gerade die Bühne gewesen wäre! Er wollte keine Theaterprinzessin zur Tochter. Sein Kind war ihm zu schade dazu. Zum ersten Mal hatte Professor Hartenstein seiner Annemarie etwas verschwiegen. Das Gespräch mit dem Bankdirektor unterschlug er ihr. Wußte er doch ganz genau, wie sie sich dazu äußern würde. Sie lamentierte schon genug, daß Ursel meist blaß und abgespannt von ihrer Banktätigkeit heimkehrte. »Ursel kommt - das muß unser Urselchen sein!« rief es von der rosenumkletterten Terrasse herab, von wo aus Frau Annemarie bereits mit den Brasilianern nach Ursel ausschaute.
»Tag, meine geliebte Hundetöle, da bin ich endlich wieder. Du, Cäsar, laß mich bloß am Leben, ich komme ohnedies schon vor Hitze um - Tag, Vaterchen - puh, war das heute gräßlich in der Bank - Temperatur wie im Fegefeuer - ach, da sind ja schon Tavares!« Die Begrüßung mit dem Vater wurde plötzlich abgebrochen. Ursel eilte, obgleich sie eben vor Hitze umkam, schnellfüßig der Terrasse zu. »Guten Tag«, sie winkte bereits von weitem - »Tag, meine kleine Muz - Guten Tag, Herr Tavares - Tag, Marga, wartet ihr schon lange auf mich?« Ursel hatte mit der jungen Brasilianerin bereits Duzfreundschaft geschlossen.
»Mein armes Kind, so heiß bist du!« Zärtlich strich die Mutter der erhitzten Tochter die Blondhaare aus der Stirn. »Komm, setz dich her und iß hier die Erdbeeren in Milch. Die werden dich bei der Hitze erfrischen.« »Hitze? Es ist nicht warm heite - gutes Wetter, serr gutt.«
»Ja, Sie sind in Brasilien wohl andere Temperaturen gewöhnt, Herr Tavares«, pflichtete Frau Hartenstein dem jungen Manne bei.
»Temperatur muß sein heiß, serr heiß, daß Kaffee wird gutt und viel.«
»Und da schmoren Sie auch lieber, damit Ihr Kaffee bloß fix und fertig gleich gekocht mit Milch und Zucker vom Baum kommt«, neckte ihn Ursel.
»Ist nicht Baum - ist Strauch, großes Kaffeestrauch, hoch wie Mann, wie kleines Wald viele, viele Meilen. Oh, ist schön in Sao Paulo, magnifico.« In Erinnerung an seine schöne Heimat verfiel er wieder in die Heimatsprache. »Was sein Blumen hier? Klein, nicht groß, nicht schön. Was sein Himmel? Grau, häßlich. Was sein Sonne? Nicht heiß. Was sein Vogel? Nicht groß, nicht farbig. Schmettervogel in Brasilien sein groß, serr viel mehr schön.« Er berauschte sich an der Erinnerung.
»Na, dann hätten Sie ja drüben bleiben können, wenn es so herrlich bei Ihnen ist«, begehrte Ursel auf, die sich ärgerte, daß Milton Tavares ihre Heimat nicht gegen die seine gelten lassen wollte.
»Ursel - Urselchen - du wirst doch unsern Gast nicht beleidigen«, unterbrach Frau Annemarie ihre Tochter, die aber fuhr unbeirrt fort: »Kann es einen schöneren Garten geben als den unsrigen hier? Rosen und Linden blühen. Bunte Schmetterlinge haschen sich. Die Vögel singen so süß - hören Sie nur mal, das muß die Amsel sein, die uns immer die Erdbeeren anpickt. Und der Himmel soll grau sein. Sie sind wohl farbenblind. Leuchtend blau ist er. Und wenn Ihnen unsere Sonne noch nicht heiß genug ist, dann gehen Sie nur ganz ruhig in Ihren Schmortopf von Brasilien zurück und lassen Sie sich da knusprig braten!« Nein, wirklich, Ursel war sehr aufgebracht über Milton Tavares. »Aber Ursel, unser Gast!« Die Mutter schüttelte unzufrieden ihren Kopf über das impulsive Töchterchen, das so wenig überlegte, was es da alles heraussprudelte. »Nicht Gast - Freund - gutt Freund - wenn Donna Ursel auch sein furiosa über mir, sie sein reizend in Wut«, nahm der Brasilianer Ursels Partei. »Was sein deutsche Mädchen - nicht schön!« äffte sie ihn nach.
»O ja, sein wunderschön, blonde deutsche Mädchen, marovilhosa!« rief er feurig. »Ich weiß, Donna Ursel sein nicht bös auf mir - sein gutt - sein mir gutt.« »Na, nu hört sich aber alles auf!« Ursel mußte plötzlich mitten in ihrem Ärger hellauf lachen. Auch Frau Annemarie
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