Nesthäkchen 08 - Nesthäkchens Jüngste
gutes Wort für dich eingelegt zu haben. Ja, ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt vertreten kann, dir Gesangstunde geben zu lassen.« Frau Annemaries Gesicht wurde besorgt.
»Als Mutter sollst du ja gar keine Notiz von meinen Mitteilungen nehmen, Muzi. Die braucht überhaupt nichts davon zu wissen. Aber als meine aller-allerbeste Freundin mußt du dich mit mir freuen, daß ich wenigstens ein paar Stunden in der Woche Gesang studieren darf. Und wenn ich's erreiche - ach Muzi, dann ist ja keiner stolzer auf mich als du!«
»Ich werde immer stolz auf meine Kinder sein, wenn sie als brave Menschen etwas Tüchtiges leisten. Auf welchem Gebiet ist gleich -«
»Siehst du, Muzi, da sagst du es ja selbst. Ich will was Tüchtiges leisten - ich will!« Das ganze schmale Persönchen war von Energie durchströmt. Freilich meinte Ursel ein anderes Gebiet als die Mutter. »Und nun, Muzi, wollen wir zur Beruhigung der Gemüter beide einen Spaziergang machen, ja? Die Sonne gibt gerade wieder eine Gastrolle. Und Cäsar, das arme Vieh, kratzt sich die Pfoten draußen an der Tür ab, ohne daß man von ihm Notiz nimmt. Ja, meine geliebte Töle, wir kommen ja schon. Soll ich dir deine Sachen bringen, Muzi?«
»Und meine Ausbesserwäsche, Ursel?«
»Die läuft nicht weg. Heute abend helfe ich dir, wenn - wenn ich nicht bereits im Bett liege.« Lachend lief Ursel davon, um die Sachen zu holen.
Banklehrling
Nun war der Frühling doch eingekehrt - allen Aprillaunen zum Trotz. Trude hatte den Frühstückstisch zum ersten Mal wieder auf der Veranda gedeckt.
»Das ist recht, Trude«, lobte die Hausfrau, in den strahlenden Frühlingsmorgen schauend. »Rasch den Kakao für Ursel. Damit sie die Bahn nicht versäumt.«
»Wäre auch kein Unglück!« klang es aus dem Garten, in dem Ursel unbedingt noch vor dem Frühstück Veilchen, Primeln und Krokusse für sämtliche Vasen pflücken mußte, herauf. »Ach, Muzi, ein Verbrechen ist es geradezu, mich an einem solchen Frühlingstag ins Gefängnis zu sperren.«
»Nun, Ursel, solch ein Gefängnis wie die Bank, in die du heute eintreten sollst, kann man sich halt gefallen lassen«, ließ sich der Vater aus einem der offenen Fenster heraus vernehmen. »Meinst du, Krankenstubenluft ist angenehmer? An seine Pflicht muß ein jedes. Und nun eil dich, Kind, sonst erreichst du die Bahn nimmer. Es ist mir geradezu peinlich, wenn du meinen Freund, den Bankdirektor Hildebrandt, der dich liebenswürdigerweise, ohne jede Vorkenntnisse, nur mit dem Schulreifezeugnis in das Bankfach eintreten lassen will, gleich am ersten Tag durch Unpünktlichkeit enttäuschst. Das wirft halt ein schlechtes Licht auf die Zuverlässigkeit meiner Tochter.« Professor Hartenstein war auf die Veranda hinausgetreten und zog stirnrunzelnd die Uhr. »Das wird nicht die einzige Enttäuschung sein, die ich ihm bereite.« Die Ursel war wirklich ein ungezogenes Ding. Ungeachtet all ihres Liebreizes konnte es sich Frau Annemarie nicht verhehlen. Ja, es zuckte sogar in der mütterlichen Rechten wie früher, wo es rasch mal einen Klaps bei Annemaries impulsiver Art gesetzt hatte. Soweit kam es heute nicht.
Im Gegenteil, Ursel küßte die Mutter so zärtlich, als gelte es einen Abschied für Jahre. Dann bekam auch der Vater seinen Kuß.
»Leb wohl, du Rabenvater« - leichtfüßig sprang sie die Stufen zum Garten hinab. »Ein Mordsmädel - na, dir werden sie schon die Flötentöne im Ernst des Berufslebens beibringen.« Mit Vaterstolz blickte Rudolf Hartenstein, obwohl er noch eben ärgerlich festgestellt hatte, daß Ursel die in zweieinhalb Minuten abgehende Bahn unmöglich mehr erreichen konnte, seiner hübschen Jüngsten nach.
»Gut, daß ich ihr eine halbe Stunde früher angegeben habe, als sie tatsächlich antreten soll. Ich hab' halt schon mit ihrer ererbten Unpünktlichkeit gerechnet.«
Annemarie kam nicht dazu, auf die Neckerei ihres Mannes zu antworten. »Cäsar - hierher - hierher - Cäsar -«; der Professor pfiff dem Hunde, der fröhlich blaffend seiner jungen Herrin nachsetzte.
Cäsar war ebensowenig folgsam wie diese. Er stellte sich taub gegen die befehlende Stimme seines Herrn. Nur um so rasender jagte er davon, an Ursel vorüber bis zur nächsten Straßenecke, wo er sie schwanzwedelnd erwartete.
»Zurück, Cäsar - geliebte Hundetöle, ich darf dich doch nicht in meinen Kerker mitnehmen!« Zärtlich klopfte Ursel den Hals des vierbeinigen Freundes. Tü-i-i-i-i-i-i - ein schriller Pfiff der Stadtbahn.
»Fort
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