Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
miteinander verbinden. Euer Vater vereinigt es ja auch in sich.« Ein liebevoller Blick streifte den Gatten.
»Ei, Ursel, du ißt ja heute so wenig. Die Pastete hast du schon vorübergehen lassen. Diesen Perutruthahn möchte ich dir sehr empfehlen.«
»Ich mag bei dieser Siedehitze auch nicht viel Fleisch essen. Das habe ich in den sechzehn Jahren meines Aufenthaltes im Tropenland immer noch nicht begreifen gelernt, daß ihr Brasilianer soviel Fleisch eßt, Milton. Die Bewohner der heißen Zone pflegen doch Pflanzen und Früchten sonst den Vorzug zu geben.«
»Das eine tun - das andere nicht lassen. Das ist auch Nitas Ansicht, nicht wahr? Diese Doces de Caju müßt ihr beide aber auch versuchen, Ursel. Freilich, Juan, dieses Tellerchen ist für dich. Du brauchst dich gar nicht so nachdrücklich in Erinnerung zu bringen, mein Sohn.« Der kleine Juan hatte beim Auftragen des süßen Nachtisches den Vater energisch an seinem Ärmel zu zupfen begonnen.
»Darf ich meinen Nachtisch dem alten Chico hinüberbringen, Papi?« fragte Marietta. »Er ist krank, erzählte Homer. Diese Doces werden ihn sicher erquicken.« »Was fehlt dem Alten, Pedro?« wandte sich der Vater statt einer Antwort an den servierenden Mulatten.
»Oh, Don Tavares, ist schlimm, sehr schlimm. Schüttelt Chico, wie Sturm schüttelt Schiff in Ozean. Armer Chico friert bei Hitze.«
»Homer soll sogleich den Arzt rufen, Pedro. Marietta, du betrittst Chicos Häuschen nicht. Du kannst dich anstecken. Keiner von euch darf zu Chico gehen, bis ich den Arzt gesprochen habe. Sage Homer, Pedro, daß er selbstverständlich, solange der Großvater krank ist, hier in der Stadt bei ihm bleibt. Später kann er uns zur Fazenda nachkommen.« »Homer muß zu Hause bleiben? Ohne Homer ist es gar nicht lustig auf der Fazenda. Dann hat Juan j a kein Pferdchen zum Reiten.«
»Juan, ein Mensch ist kein Pferdchen, auf dem man reitet. Ich habe es dir schon öfters verboten, auf Homer zu reiten«, bedeutete die Mutter dem Kleinen.
»Wenn Juan brav ist, schenkt der Vater ihm auf der Fazenda ein kleines Pony. Dann kannst du mit dem Vater ausreiten, mein Junge«, versprach der Vater. »Ja, Papi, wirklich? Tust du es auch gewiß? Ist Juan jetzt groß?« Der Kleine vermochte an sein Glück nicht zu glauben.
»Nein, Milton, du machst doch nur Spaß, nicht wahr? Keine ruhige Minute hätte ich, wenn das Kind schon reiten lernte«, sagte Frau Ursel aufgeregt. »Es kommt noch früh genug dazu. Ich muß mich schon um die Großen genug sorgen.«
»Nun, wenn es dir nicht recht ist, mein Liebling, warten wir noch damit.« Milton war sofort einverstanden.
»Es soll der Mammi aber recht sein. Alte Mammi!« Grenzenlos enttäuscht war der Kleine. »Juan, geh in dein Kinderzimmer. Du bist unartig. Ich will dich hier nicht mehr sehen«, sagte der Vater mit außergewöhnlicher Strenge. Nur wenn eins der Kinder sich ungebührlich gegen die Mutter benahm, wurde er ärgerlich. Wütend lief der Kleine davon.
Milton Tavares trank seine Schale Mokka aus und nahm den Arm seiner Gattin, um sie ins Musikzimmer zu führen. Lachend flüsterte er ihr ins Ohr: »Von wem der Schlingel nur diese Wutteufelchen hat? Von dir oder von mir?«
»Ich fürchte, von uns beiden«, gab Frau Ursel, ebenso belustigt wie ehrlich zurück. »Aber hast du wirklich die Absicht, heute noch Musik zu machen, wo wir morgen die Stadt verlassen?«
»Darum gerade. Einen würdigeren Abschluß unseres Stadtaufenthaltes kann es für uns nicht geben. Was willst du singen, mein Herz? Oder wollen wir mit Anita ein Bratschentrio spielen?«
»Ich muß noch mit Marietta Abschiedsbesuche machen, Papi. Hast du auch die Überraschung für uns auf der Fazenda nicht vergessen? Du weißt doch?«
»Die Überraschung? Gut, daß du mich erinnerst, Kind.« Der Vater machte ein verschmitztes Gesicht und schlug die ersten Töne auf dem Flügel an. »Willst du aus Rigoletto singen, Ursel, oder aus dem Barbier? Wie Donna Tavares befehlen.«
So ernst Milton Tavares auch in seinem Beruf war, so fröhlich pflegte er im Kreise seiner Familie zu sein.
»Und die Noten, Milton? Wann packen wir die ein?« gab seine Frau noch zu bedenken. »Wenn wir genug musiziert haben«, meinte er heiter.
Marietta stand im Schatten der großen Kokospalme und lauschte. Die Sonne tauchte drüben über den Bergen in ein Farbenmeer von unglaublicher Pracht. Der lichtgrüne Himmel war rosenrot, violett, orange und zitronengelb überhaucht. Marietta schaute, lauschte und
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