Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
träumte.
»Also hier steckst du, Jetta.« Anitas helle Stimme schreckte sie auf. »Komm, das Auto ist schon vorgefahren.«
Jimmy
Ribeiräo Preto, der Sommersitz der Familie Tavares, lag acht bis neun Bahnstunden von der Stadt entfernt. Das bedeutete für amerikanische Zeit- und Raumverhältnisse nicht viel. Pflegten die Herren aus der Stadt, soweit sie sich nicht Ferien nahmen, doch mindestens einmal in der Woche diese Strecke im Auto zu ihren Familien zurückzulegen. Nicht nur Milton Tavares besaß dort seinen mit allem Komfort eingerichteten Sommersitz. Auch die übrigen Familienmitglieder, Don Fernando und seine Frau Margarida, die Mutter, Donna Tavares, verschiedene Vettern und Freunde hatten sich dort angesiedelt. Eine elegante Kolonie war entstanden mit äußerst lebhafter Geselligkeit, mit Vergnügungen und Sportveranstaltungen aller Art. Nirgends lebt man angenehmer und sorgloser als draußen auf der Fazenda.
Meilenweit erstreckten sich die Kaffeeplantagen, aus denen das Haus Tavares seinen Reichtum schöpfte. Viele Hundert Arbeiter, Männer, Frauen und Kinder waren hier vom frühen Morgen bis zum späten Abend bei glühender Tropensonne mit schwerer Arbeit beschäftigt. Weiße und Farbige. Meist waren es italienische und deutsche Auswanderer, die das Glück in die Ferne gelockt hatte, die es vergeblich gesucht, niemals gefunden hatten. Sie waren froh gewesen, bei dem reichen Kaffeekönig in Brasilien einen Unterschlupf zu finden. In elenden, fensterlosen Lehmhütten hausten sie - das war das Glück, das sie im fremden Land erwartete. Seit der junge Herr, Don Milton, das Zepter im Kaffeereiche führte, hatten sich die Lebensverhältnisse der Arbeiter gebessert. Daran war vor allem seine Frau schuld, die der Arbeiterschaft mit warmem Herzen entgegenkam.
Niemals hatte Frau Ursel das auf Äußerlichkeiten gestellte Drohnendasein der verwöhnten brasilianischen Frauen mehr empfunden, als draußen auf der Fazenda, wo sich tausend Hände regten, um all den Luxus für die Besitzer herbeizuschaffen. Sie schämte sich, wenn sie unmittelbar neben der Eleganz des eigenen Hauses das Elend der Plantagenarbeiter beobachtete. Die anderen Frauen hatten dafür kein Auge. Die Schwiegermutter hatte sie liebevoll ein sentimentales Närrchen genannt, als Ursel damals, als junge Frau mit der ihr eigenen freimütigen Offenheit für die Arbeiter eingetreten war und deren Leben mit dem ihren verglichen hatte.
»Was willst du, Kind, sie verdienen sich ihr Brot und sind zufrieden. Sie sind anspruchslos und kennen es nicht besser. Da gehört mancher zur Gesellschaft in Sao Paulo, dessen Eltern früher auf den Plantagen gearbeitet haben. Heute fahren sie im eigenen Auto. Es geht schnell mit dem Auf- und Abstieg in Amerika. Ein jeder muß hier an sich denken. Du wirst die hiesigen Verhältnisse nicht ändern, Kind.«
Frau Ursel aber hatte sich vorgenommen, diesen Mißständen abzuhelfen. Und was Ursel sich in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch durch.
Milton Tavares hatte ein offenes Ohr für das Anliegen seiner jungen Frau. Las er ihr doch jeden Wunsch von den Augen ab. Er selbst hatte in Deutschland geordnete soziale Fürsorge für die Arbeiterschaft kennengelernt und brachte Frau Ursels Vorschlägen für gesunde Arbeiterwohnstätten Verständnis und tatkräftige Hilfe entgegen. So waren in den letzten zwölf Jahren auf den Tavaresschen Kaffeeplantagen helle, freundliche Siedlungshäuser für die Arbeiter entstanden, während auf den benachbarten Plantagen noch dieselben Mißstände herrschten.
Es war am frühen Morgen. Ein Tropenmorgen, heiß, sonnenhell und strahlend. Durch den weitausgedehnten Palmengarten sprühte silbern der erfrischende Wasserstrahl, den die Neger aus langen Schläuchen über die üppige Baum- und Pflanzenwelt leiteten. Leuchtende, seltsame Blüten öffneten ihre Kelche in wunderschönen Farben dem neuen Sonnenlicht. Schmetterlinge, wie geflügelte Riesenblumen anzuschauen, durchschaukelten die Luft. Bunte Papageien und Kolibris wiegten sich hoch oben in Palmwedeln. Auf der Terrasse, über deren gläsernes Dach rieselndes Wasser zur Kühlung herabsickerte, war die Familie beim Morgenfrühstück versammelt. Der Hausherr war selbst in den Ferien ein Frühaufsteher. Er hatte seinen Morgenritt bereits hinter sich, während seine Damen Langschläferinnen waren, wie er sie scherzend nannte.
»Milton, sieben Uhr ist es erst. Bei uns daheim in Deutschland würden die Eltern mir einen Preis
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