Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
warte nur, wenn du erst mal in Deutschland bei den Großeltern bist. Alles, was wir bei deiner Erziehung versäumt haben - und das ist nicht zuwenig -, werden sie hoffentlich nachholen.«
»Puh« - machte Anita und schüttelte sich. »Lieber gehe ich in ein Mädchenpensionat nach Rio de Janeiro. Elvira kommt auch zu Ostern nach Rio in eine Boarding-school.« »Ich will nach Deutschland zu den Großeltern, Mammi.« Marietta schmiegte den goldbraunen Kopf an die Schulter ihrer Mutter. »Ich will das alles kennenlernen, was dir so lieb ist. Die Großeltern und das kleine Haus im Rosengarten, in dem jetzt Schnee liegt und in dem die Rosen blühen, wenn es bei uns kalte Jahreszeit ist. Bringst du uns bald nach Deutschland, Mammi, ja?« »Ja, bald - bald.« Das klang sehr sehnsuchtsvoll.
Meist sah man Frau Tavares strahlend schön und heiter. Nur ganz selten brach sich die Sehnsucht nach der deutschen Heimat, nach ihren Lieben in weiter Ferne Bahn. Sie war ja eine glückliche, verwöhnte, vielbeneidete Frau. Von ihrem Gatten, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, wurde sie auf Händen getragen.
In dem Bekanntenkreis bewunderte man la bella tedesca - die schöne Deutsche - nicht minder ihres liebreizenden Wesens, als ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen. Sie und ihr Gatte standen an der Spitze des Musiklebens Sao Paulos. Kein Wohltätigkeitskonzert fand statt, in dem Donna Tavares nicht durch ihre herrliche Stimme die Zuhörer begeisterte.
Während Ursel Anita einige befreundete Familien, die sie nach dem Essen mit Marietta aufsuchen sollte, vorschlug, kamen die schwarzen Dienerinnen mit tausenderlei Anfragen wegen der in Koffer und Kisten zu verstauenden Sachen zu Donna Tavares. Keinen Finger durfte die Herrin dabei selber rühren, nur ihre Wünsche äußern. Eines aber war davon ausgenommen: ihre Noten, ihre vielgeliebten. Daran wagte sich keiner von der Dienerschaft. Die packte Ursel selbst in Gemeinschaft mit ihrem Mann. Kam er da nicht schon selbst aus Santos, dem Hafen von Sao Paulo, wo er sein Büro hatte, heim? Das Auto, das ihn jeden Abend vom Bahnhof abholte, hielt vor der Tür. Juan eilte dem Vater, der den ganzen Tag fort war, jubelnd entgegen. Wenige Sekunden später betrat Milton Tavares das Zimmer seiner Gattin.
»Guten Tag, mein Liebling. Arge Kramerei, was? Nun, um so schöner und erholsamer wird es auf unserer Fazenda werden. Vierzehn Tage Ferien habe ich mir genommen. Da werden wir wieder fleißig musizieren, nicht wahr, Ursel?«
»Vierzehn Tage nur, Milton?« Seine Frau schien enttäuscht. »Du hattest mir doch
versprochen, dich dieses Jahr wenigstens einen Monat freizumachen.«
»Ja, Papi, du wolltest doch jeden Morgen mit uns ausreiten«, erinnerte ihn seine Tochter Anita.
»Und Tennis wolltest du mit uns spielen«, fiel Marietta bittend ein.
»Und Schiffchen schnitzen und schwimmen lassen«, rief das Söhnchen energisch dazwischen.
»Freilich Schiffchen schnitzen, Juan, das ist die Hauptsache«, lachte der Vater. »Ja, ich seh es schon ein, vierzehn Tage sind in der Tat nicht genug. Da werde ich wohl zulegen müssen.« Er nickte seiner Ursel verschmitzt zu. »Don Tavares, das Bad ist bereitet«, meldete ein farbiger Diener.
»Oh moito bonito! Sehr schön! Auf Wiedersehen bei Tisch!« Milton Tavares verließ das Zimmer.
Er war heute noch ein schöner Mann. Ja, seiner Frau gefiel sein gereiftes, männliches Aussehen noch besser als seine einstige Jünglingsschönheit. Anita war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.
Seit dem Tode des alten Tavares, des Seniors des weltberühmten Kaffee-Exporthauses, hatte Milton eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Er hielt alle Fäden in der Hand. Und wenn ihm sein Schwager, Don Fernando Janqueiro, der Gatte seiner Schwester Margarida, auch geschäftlich zur Seite stand, die Hauptperson, der Mittelpunkt des Exporthauses Tavares, blieb Don Milton. Die Männer in Brasilien pflegen sich nicht allzusehr bei der Arbeit anzustrengen. Die lähmende Einwirkung der Tropentemperatur trägt wohl dazu bei. Auch Don Fernando saß lieber im Cafe als in der Kaffeebörse und überließ seinem Schwager Milton, der in Deutschland ernste, pflichttreue Arbeit kennengelernt hatte, den größten Teil.
Morgens, gleich nach dem Frühstück, fuhr Milton Tavares nach Santos, dem berühmten Kaffeehafen hinunter. Die Mittagsmahlzeit nahm er dort ein. Erst beim Essen um sechs Uhr abends war die ganze Familie versammelt.
Es war eine Festtafel im Kleinen, an der man Platz
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