Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Biedermeierzimmer. Mir ist schon recht bange nach meinen beiden ...« »Und es sind doch noch keine sechzehn Jahre, knapp so viele Wochen, daß du sie nicht gesehen hast«, meinte die Mutter mit leisem Lächeln. »Du glaubst gar nicht, Ursel, wie uns unser Jettachen in den schweren Tagen der Krankheit ans Herz gewachsen ist. Das Kind hat ein goldenes Gemüt. Es denkt immer nur an andere.«
»Ja, Marietta ist darin ganz unamerikanisch. Das taugt nicht für drüben. Da muß jeder zusehen, wo er bleibt.«
»So laßt sie uns halt ganz da, 's Mariele, wenn ihr wieder zurückgeht.«
»Aber Mann, Rudi, die Ursel ist doch eben erst gekommen, und da kannst du schon wieder an Trennung denken!« Ordentlich aufgebracht war Frau Annemarie.
»Der Vater hat eben schon genug von mir«, lachte Ursel, »und mir scheint, die Großeltern auch bereits von meiner Anita, weil du die Jetta so gegen sie herausstreichst, Muzi. Anita hat dir wohl manch Kopfzerbrechen gemacht. Hoffentlich habt ihr nicht allzu arg auf meine Erziehung geschimpft.«
»Von Erziehung haben wir gar nimmer etwas beim Annele gemerkt«, neckte der Geheimrat.
»Anita ist ein echt amerikanisches Mädchen aus reichem Hause, mit all seinen Vorzügen und Schwächen. Es war nicht immer leicht mit ihr. Gar manches Mal hab' ich gemeint, meine Ursel hätte strenger sein müssen«, gab Frau Annemarie mit der ihr eigenen Ehrlichkeit zu. »Aber sie ist doch ein Prachtmädel, die Anita, es steckt ein guter Kern in ihr. Sie hat schon manches hier gelernt. Sie ist lange nicht mehr so rücksichtslos und herrschsüchtig, auch Marietta gegenüber. Und was die Hauptsache ist, sie hat uns liebgewonnen. Sag, Hanselchen, auf wen freust denn du dich am meisten? Auf die Nita oder auf die Jetta?« wandte sie sich an den kleinen, inzwischen auf Hühner und Spatzen Jagd machenden Enkel. Der sah fragend auf die Mutter. Diese übersetzte ihm die Worte der Großmama.
»Ich freue mich am meisten auf Jimmy und die Omama«, war die rasche Antwort des Kleinen, die Frau Ursel vor Lachen kaum dolmetschen konnte. »Omama, du kommst erst nach Jimmy.«
Während die Omama noch belustigt protestierte, fuhr ein Auto vor. Homer sprang vom Chauffeursitz, öffnete den Schlag und half beim Aussteigen. Natürlich, Anita war die Straßenbahn wieder einmal nicht gut genug. Soweit war der europäische Einfluß des großväterlichen Hauses doch noch nicht gediehen. Wie der Wind war Frau Ursel, den kleinen Juan mit sich ziehend, hinter dem Stamm der dicken Linde. Sie legte den Finger auf den Mund - Juan verstand. Er verhielt sich mäuschenstill, um die Schwestern zu überraschen.
Lebhaft plaudernd kamen die jungen Mädchen näher. Sie waren glücklich, jetzt wieder beisammen zu sein.
»Guten Tag!« rief Anita schon von weitem, »ein schönes Gruß von Jimmy. Er hat Sehnsucht, der arme Tierchen.«
»Wir aber nicht nach ihm«, meinte die Großmama. »Na, Lottchen, war's schön im Zoo?« »Ja, das Schönste am Zoo war das Autofahren«, lautete Lottchens begeisterte Antwort. »Unser Großpapa sieht jetzt viel mehr frisch und vergnügt aus als heute morgen«, stellte Marietta mit dem kundigen Blick der Pflegerin erfreut fest.
»Das macht, wir haben lieben Besuch gehabt.« Die Großmama machte ein merkwürdig verschmitztes Gesicht dabei. »Wir sollen euch auch einen Gruß bestellen - von Jimmys Landsleuten.« Anita war ganz aufgeregt. »Wer kann es sein gewesen? Einer von den Janqueiro? Oder die Orlandos? Die haben zu arbeiten mit Europa.«
»Bitte, sage es uns, liebe Großmama. Haben sie gebracht Grüße von unsern Eltern?« Auch Marietta brannte vor Neugier.
»Freilich«, lachte die Großmama. »Ganz frische, warme Grüße.«
»Wollen halt mal schauen, wer das Rätsel erraten wird, 's Annele oder 's Mariele«, schmunzelte der Großpapa.
»Ist es Mann oder Frau?« begann Anita das Examen.
»Beides«, lachte die Großmama. »Aber der Mann ist nur klein, viel kleiner als die Frau.« »Jetta, ein kleines Mann und ein großes Frau. Wer kann sein das in Sao Paulo?«
Die beiden Mädel waren so aufgeregt, daß sie nicht darauf achtgaben, daß es hinter der Linde nicht weniger aufgeregt zuging. So breit sich die Linde auch machte, so sehr Frau Ursel auch zu beschwichtigen versuchte, Klein-Juan war kaum noch zurückzuhalten, seitdem er die Stimmen der Schwestern hörte.
»Kuckuck« - klang es plötzlich hinter der Linde hervor, mitten hinein in das Kopfzerbrechen und Raten. Das deutsche Kleinkinderspiel war auch
Weitere Kostenlose Bücher