Nestor Burma in der Klemme
öffnete
ich die Tür und betrat das Zimmer.
„Lassen Sie sich nicht stören“, sagte ich. „Ich
bin’s nur.“
* * *
Die beiden Männer wirbelten herum und starrten
mich an.
Der eine zerquetschte gerade mit seiner dicken,
behaarten Pranke das zarte Handgelenk des jungen Mädchens, das gefesselt auf
einem Sofa lag. Vor Überraschung ließ er es los. Sein plattes Gesicht und der
plumpe, schlaffe Körper verrieten den abgewrackten Boxer. Unter dem Schirm
seiner Sportmütze sahen zwei völlig unintelligente Augen in die Welt.
Sein Kollege hatte die Gesichtszüge eines Adlers
mit einer leicht schiefen Nase über einem bleistiftdünnen Oberlippenbärtchen.
Der nach hinten geschobene Hut ließ eine fliehende Stirn sehen. Aber das war
nicht das einzig Fliehende an dem Kerl. Mit dem Kinn war es genauso, und auch
die verschlagenen Augen wichen meinem Blick aus. Ich taufte ihn im stillen den
„Fliehenden“. Um seine schmalen Lippen lag ein bösartiger Zug. Der ganze Kerl
war schmal und dünn. In seinem gutgeschnittenen, aber zu auffälligen Anzug sah
er aus wie eine geschmeidige Schlange mit einem Fuchskopf, wenn Sie sich das
vorstellen können.
Das Objekt ihrer zweifelhaften Fürsorge war an
Hand- und Fußgelenken gefesselt. Nicht ohne Überraschung hatte ich in dem
jammernden Geschöpf das junge Mädchen vom Boulevard Victor wiedererkannt.
Mit dem Fuß schob ich die Tür hinter mir ins
Schloß.
„Würden Sie bitte die Hände heben?“ sagte ich
liebenswürdig.
Das galt natürlich nur für die beiden Männer.
Sie gehorchten.
„Spielen Sie hier Tino Rossi?“ erkundigte ich
mich. „Studieren Sie mit der Kleinen ‘ne Oper ein? Oder bringen Sie ihr
Jiu-Jitsu bei?“
In dem blöden Blick des Boxers spiegelte sich so
was wie Angst wider.
„Tino Rossi?“ fragte er. „Ist der verrückt?“
„Schnauze!“ zischte der Fliehende ihm zu. „Laß
den komischen Vogel erst mal singen, dafür ist er ja extra gekommen.“
„Sie täuschen sich, Monsieur“, sagte ich
lächelnd. „Ich habe Ihnen absolut nichts zu sagen. Eher umgekehrt: Sie sollen mir was Vorsingen. Aber vorher geben Sie mir sicherheitshalber Ihre
Ballermänner. Sollte mich wundern, wenn so liebe Jungs wie Sie keine hübsche
Schießerei in Gang setzen könnten...“
Ich dachte einen Augenblick nach. Es wäre unvorsichtig
gewesen, die beiden nacheinander zu durchsuchen. Wenn ich den einen in der
Mangel hätte, könnte der andere mir was Übles verpassen. Ich durfte nicht
vergessen, daß sie zu zweit waren. Und der ehemalige Boxer hatte bestimmt noch
nicht verlernt, seine Fäuste zu gebrauchen. Der Fliehende stank von seinen
pomadisierten Haaren bis zu den Fußspitzen wie ein durchtriebener kleiner
Zuhälter. Ganz sicher überlegte er schon krampfhaft, welchen Preis in welcher
Währung ich ihm für die Freiheit bezahlen sollte, die ich mir genommen hatte,
ihr Spielchen zu unterbrechen.
Ja, sie waren zu zweit... und ich war ganz
alleine...
Ganz alleine?
Das junge Mädchen auf dem Sofa bewegte sich.
Sitzend versuchte sie, sich von den Fesseln zu befreien. Konnte ich in ihr eine
Verbündete sehen? Ich hatte sie aus einer ziemlich beschissenen Lage befreit.
Diese Männer waren bestimmt nicht ihre Freunde. Sie hatte zwar bisher keine
übermäßige Sympathie für mich gezeigt, aber vielleicht konnten wir ein
befristetes Bündnis schließen...
„Drehen Sie sich um“, befahl ich den beiden
bösen Buben. „Mit dem Gesicht zu dem Mädchen.“
„Das Gesicht der Kleinen ist auch viel
ansehnlicher als Ihres“, bemerkte der Fliehende und tat, was ich gesagt hatte.
„Ja, ja“, gab ich zurück, „nur keine geistreichen
Bemerkungen.“
Meine Waffe auf die beiden Männer gerichtet,
ging ich zum Sofa, stützte mich mit dem linken Knie auf und sprach mit der
Gefesselten. Sie kapierte sehr schnell, was ich wollte. Unser Nichtangriffspakt
mußte nur ein paar Sekunden halten. Trotzdem schlug mein Herz schneller, als
ich meinen Revolver aus meiner Hand in ihre wandern ließ. Was würde sie damit
anstellen? Sie richtete das Ding kaltblütig auf ihre Peiniger und sagte zu mir:
„Los, fangen Sie an!“
Von hinten trat ich an den Fliehenden heran, um
ihn abzutasten. Mit katzenhaftiger Geschmeidigkeit stieß er mir seinen Ellbogen
ins Gesicht. Ich hatte den ganzen Tag über nur das eine Sandwich gegessen,
dafür aber einiges getrunken. Ich schwankte. Ein klassischer Kinnhaken ließ
mich wieder geradestehen: Der Boxer hatte sich auf seine Fähigkeiten
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