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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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Ihnen haben mich
überfallen und den bösen Wolf gespielt, Sie tauchen im dramatischen Moment auf,
in der Hand einen Revolver... Unter uns gesagt, das kann sehr gefährlich sein!
Heute morgen noch stand in der Zeitung ein Artikel über Unfälle mit
Schußwaffen... Also, Sie rufen hands up!, schlagen die Bösen in die Flucht
und retten die Heldin. Fehlt nur noch der Kuß zum Happy-End. Ich bin
überrascht, daß Sie mich noch nicht darum gebeten haben.“
    „Kommt später“, sagte ich stirnrunzelnd. „Sie
glauben also an ein abgekartetes Spiel? Und deswegen haben Sie nicht geschossen?“
    „Ja, auf beide Fragen. Und ob der Kuß noch
folgt, behalte ich mir vor.“
    Ihr Ton war witzig. Sehr humorvoll, die Kleine!
Sehr pfiffig... Aber ihre Augen drückten große Erschöpfung aus. Jetzt, da sie
zu sprechen aufgehört hatte, schien Müdigkeit sie zu übermannen.
    „Sie sind müde“, stellte ich fest.
    „Ja, ich bin ziemlich mitgenommen“, gestand sie.
    Sie lehnte sich in die Sofakissen zurück und
schloß die Augen. Ihr Atem ging schwer.
    „Sie sollten jetzt gehen“, flüsterte sie. „Ich
möchte allein sein.“
    „Wie gesagt, ich gehe nicht eher, bis ich einige
Dinge geklärt habe“, beharrte ich. „Was die ,Inszenierung’ angeht, so täuschen
Sie sich. Ich kenne Ihre Peiniger nicht, stecke folglich auch nicht mit ihnen
unter einer Decke. Übrigens müssen wir damit rechnen, daß die beiden
zurückkommen...“
    Das Mädchen rührte sich nicht. Ihre Hand, in der
sie eine Zeitung hielt, war bleich wie Wachs. Ich holte meine Pfeife und meinen
Tabaksbeutel raus.
    „Scheint ‘ne längere Sitzung zu werden. Darf ich
rauchen?“
    Sie machte eine gleichgültige Handbewegung. Ich
fing an, gewissenhaft meine Pfeife zu stopfen.
    „Wollen Sie sich vielleicht eine Zigarette
drehen?“ fragte ich und hielt ihr den Tabak hin.
    „Nein, danke. Ich rauche nicht.“
    Ich zündete die Pfeife an und stieß die erste
Rauchwolke aus.
    „Sagen Sie, wie haben diese Männer Sie
eigentlich... Oh, ich könnte mich vielleicht mal vorstellen! Etwas spät, aber
wir sollten nicht immer anonym miteinander reden. Ich heiße Henry, wie der
Zeichner. Mit Vornamen allerdings Nestor statt Maurice.“
    Sie setzte sich wieder aufrecht hin. Ihre Hände
spielten zerstreut mit der zusammengerollten Zeitung.
    „Verstehe“, sagte sie. „Sie wollen meinen Namen
wissen... Lydia, Lydia Daquin.“
    „Also, Mademoiselle Daquin, sagen Sie mir, wie
die Männer Sie überfallen haben. Ich schwöre Ihnen, jeder Sadismus liegt mir
fern... falls ich Sie mit dieser Frage quälen sollte. Im Gegenteil, ich möchte
Ihnen nur helfen.“
    Sie strich sich mit der Hand über die Stirn.
    „Ein klassischer Trick“, begann sie leise. „Sie
klopften an die Tür, ich hab gefragt ,Wer ist da?’, sie haben geantwortet ,Polizei’,
ich habe geöffnet, sie hielten mir ihre Revolver vors Gesicht und rieten mir,
nicht zu schreien. Dann...“
    „Moment“, unterbrach ich sie. „Sie hatten einen
Revolver in der Hand?“
    „Ja. Beide.“
    „Sind Sie sicher?“
    „Natürlich, hab die Dinger ja aus nächster Nähe
gesehen.“
    „Haben Sie nicht um Hilfe gerufen?“
    „Ich muß gestehen, angesichts der beiden
Revolver hab ich nicht den Mut dazu besessen. Außerdem... Mit welcher Hilfe
hätte ich schon rechnen können? Das Haus steht abseits...“
    „Und die Villa gegenüber?“
    „Der Mieter ist fast nie da... Also, die Männer
stießen mich hier ins Zimmer, fesselten mich und fragten, wo ich mein Geld
versteckt hätte. Ich sagte, ich besäße keins. Da... Mein Gott! Ich glaube, Sie
sind gerade noch rechtzeitig gekommen... Vielleicht hätten die beiden mir die
Füße angesengt.“
    „Waren die Männer schon länger hier?“
    „Als Sie dazugekommen sind? Nein, erst ein paar
Minuten. Deswegen hab ich angenommen, Sie hätten zusammen das Theater
inszeniert.“
    „Das war kein Theater, Mademoiselle. Jedenfalls
nicht das, was Sie vermuten... Wahrscheinlich haben die Männer die Nacht
abgewartet, um Sie zu überfallen.“
    „Ganz bestimmt.“
    Wir schwiegen eine Weile. Im Ofen knisterte ein
Stück Holz, der Wind pfiff ums Haus. Plötzlich hörte man einen dumpfen Knall,
sehr weit weg. Lydia fuhr hoch.
    „Nervös?“ frage ich lächelnd.
    „Ein wenig... Was war das?“
    „Ein Geschütz.“
    „Oh, dieser verdammte Krieg!“
    Sie faßte sich mit beiden Händen an den Kopf.
    „Heute morgen schien Ihnen das nicht soviel
ausgemacht zu haben“, bemerkte

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