Nestor Burma in der Klemme
funkelten spitzbübisch hinter den
Brillengläsern. „Du bist schon der zweite heute, der mir diese Frage stellt.“
„Und wer war der erste?“
„Ein Typ mit ‘nem Schlapphut.“
„Und ‘nem großen Maul?“
„Bildlich gesprochen, ja.“
„Was genau hat er dich gefragt?“
„Werd’s dir erzählen. Ich hab grade auf einer
deiner Karten was ausgerechnet... Du mußt entschuldigen, aber Papier ist
knapp... Ich stand also da, genau wie jetzt, Bleistift in der Hand. Zum Glück,
wie du gleich sehen wirst... Der Typ kommt rein, und ich sag mir: Jetzt bin ich
reif! Das ist keiner von denen, die sich hier normalerweise rumtreiben. Und für
einen alkoholfreien Tag stank es verdammt stark nach Schnaps... Ich sag sofort
zu ihm: ,Nicht nötig, daß Sie mir Ihren Ausweis zeigen. Ich weiß, woher Sie
kommen.“ Da grinst der Kerl plötzlich wie’n Honigkuchenpferd. Ich dachte, der
hört gar nicht mehr auf. Nimmt deine Karte, guckt sie sich an und sagt: ,Haben
Sie mehrere davon?’ — ,So um die fünfzig’, sag ich und zeig ihm den Stapel.“
Fred drehte sich um, schob die schwarze Fahne
mit dem Totenkopf, die vom Regal herunterhing, zur Seite, öffnete mit der
anderen Hand ein kleines Kistchen und zeigte uns ebenfalls die Visitenkarten.
„,Wozu brauchen Sie die’, fragt mich der Typ.
,Um aufzuschreiben, was die Gäste mir schulden’, antworte ich. ,Sie geben
Kredit?’ fragte er, so als würd’s ihn tatsächlich interessieren. ,Leuten, die
ich kenne, ja’, sag ich mit einem bestimmten Unterton, damit er sofort kapiert:
Wenn er was trinken will, muß er blechen! Und dann fragt er mich, ob ich einen
Mann namens Briancourt kenne, ob ich ihm neulich so ‘ne Karte gegeben hab und
warum etc. Ich antworte immer mit ,Ja’, er habe die Punkte von der Belote aufschreiben wollen. Also wirklich, der Kerl hat
mir ‘n Loch in den Bauch gefragt! Ob Briancourt häufiger gekommen sei? Ja,
ziemlich oft. Seit wann? Seit drei Tagen, vorher hätte ich ihn noch nie
gesehen. Allein oder in Begleitung? Alleine. Seine Partner bei dem Kartenspiel?
Habe er hier kennengelernt, alte Stammkunden. Ob er nie angerufen worden sei?
Nein, soweit ich wisse. Er habe die Telefonnummer meines Bistros im Notizbuch
notiert, ob ich dafür eine Erklärung habe? Die Frage kam mir verdammt gelegen.
Ich dachte, versuch’s mal mit Offenheit. ,Sehen Sie, Inspektor’, sag ich, ,Sie
wissen doch selbst am besten, wie der Hase läuft. Briancourt hat mich hin und
wieder angerufen, um sich zu erkundigen, ob ich englische Zigaretten hätte.
Deswegen kannte ich auch seinen Namen.’ Hat dem Flic prima gefallen, daß ich so
offen mit ihm geredet hab, so von Mann zu Mann. Sah man ihm direkt an! Übrigens
hab ich ihm tatsächlich die Wahrheit gesagt... Dann hat er mir noch ‘n paar
uninteressante Fragen gestellt und sich kurz darauf verabschiedet. Hat ‘ne
Karte von dir mitgenommen und gesagt, ich würde bestimmt als Zeuge verhört werden.
Glücklich wie der Papst ist er abgezogen. Endlich ein Barkeeper, mit dem man
reden konnte... ganz offen!“
Fred grinste breit, goß sich einen Martini ein
und zündete sich eine Zigarette an, wahrscheinlich ‘ne englische... Er wartete
auf ein Lob von mir, und ich tat ihm den Gefallen. Verschwörerisch beugte er
sich über die Theke und flüsterte mir zu:
„Hatte in der Zeitung von dem Mord gelesen. Als
der Flic von Briancourt geredet hat, wußte ich sofort, daß er meinen früheren
Gast meinte. War doch richtig, dich da rauszuhalten, oder?“
„Goldrichtig, Fred! Aber jetzt mal im Ernst:
Warum hast du Briancourt meine Visitenkarte gegeben?“
„Weil er irgend etwas oder irgend jemand in
Paris suchte und nicht finden konnte. Vorgestern kam er hier rein mit ‘m
Gesicht wie auf ‘ner Beerdigung. Völlig am Boden. ,Läuft’s nicht?’ hab ich ihn
gefragt. Ob ich keinen Privatflic kennen würde, wollte er wissen, aber ‘n
seriösen! ,Verstehen Sie, was ich mit seriös meine?’ hat er augenzwinkernd
hinterhergeschickt. ,Seriös und diskret...’ Da hab ich ihm deine Karte gegeben.
,Was Seriosität und Diskretion angeht, da werden Sie in ganz Paris keinen
zweiten wie Nestor Burma finden’, hab ich ihm gesagt. ,Ganz zu schweigen von
seinen beruflichen Fähigkeiten...’ er hat die Karte eingesteckt, hat
ausgetrunken und ist gegangen. Wenn er jetzt gleich zu Burma geht, hab ich
gedacht, wird er wohl Pech haben. Es war kurz nach Mittag. Um eins bin ich dann
auch gegangen. Als ich um sechs wiederkam, war Briancourt
Weitere Kostenlose Bücher