Nestor Burma in der Klemme
Bauernfängern das Handwerk legen, ausradieren
müsse man die (seine weitausholende Geste schleuderte den Federkasten gegen das
Telefon), aber ihm, Kommissar Martinot (Hervé für die Damen), imponiere dieses
Pack überhaupt nicht... Und dann holte er erst mal Luft, bevor’s weiterging:
Ich hätte die Unverschämtheit, mitten in der Nacht bei ihm reinzuplatzen und
Erklärungen zu verlangen, dann habe er auch das Recht zu sagen, was er von mir
halte. Elemente wie Nestor Burma müsse man, wenn ich seine Meinung hören
wolle... etc.
Von diesem Wüterich auch nur die kleinste
Information über den Fall Barton zu erwarten, war genauso illusorisch, wie an
ein schnelles Kriegsende zu glauben. Mir fehlte der Glaube an beides. Also ließ
ich mich von ihm rauswerfen, bevor er mich womöglich noch einsperrte.
Nicht sehr stolz auf mich, gelangte ich zur
Treppe. Im selben Augenblick kamen Florimond Faroux und einer seiner Kollegen
hoch, zwischen sich einen kleinen Jungen. Sie gaben ein so komisches Bild ab,
daß sich meine Laune auf einen Schlag besserte.
„Was sehe ich denn da?“ rief ich lachend. „Sind
Sie zur Amme avanciert oder Chef der Aktion ,Schuleschwänzer in die Schule“
geworden? Schämen Sie sich nicht, das arme Kind so zu erschrecken, Sie
Kinderschreck? Der Kleine müßte schon längst in der Heia liegen!“
„Dieses Kind könnte Ihr großer Bruder sein“, gab
der Inspektor zurück. „Er wird bald vierzig.“
„Großer Gott! Ist das Little-Tich?“
„So was Ähnliches, ja. Das ist Mac, vom Zirkus
Médrano. Als die Vorstellung zu Ende war, haben wir ihn uns geschnappt.“
Ich betrachtete den kleinen Mann genauer.
Herausfordernd hob er den Kopf. Im gelblichen Licht der Treppenhausbeleuchtung
wirkte sein ungefälliges, schlecht geschminktes Gesicht lächerlich. Zwei
riesengroße, bösartige Augen funkelten mich zornig an. Ein starker Parfümgeruch
stieg mir in die Nase.
„Und was treiben Sie sich um diese Zeit hier
rum?“ fragte mich Faroux.
Ich tippte meinem Freund mit dem Zeigefinger auf
den zweiten Knopf seines Raglanmantels, als wär’s ‘ne Klingel.
„Neugierig wie immer! Sagen Sie’s nicht weiter:
Ich bin als beleidigter Steuerzahler gekommen, um Kommissar Martinot
umzubringen. Leider ist seine Haut zu hart für mein stumpfes Messer. Ich muß es
mir vorher schärfen lassen.“
Faroux’ Kollege riß ungläubig die Augen auf.
„Hören Sie nicht auf ihn“, sagte Faroux zu ihm.
„Das ist ein Verrückter.“
Nach dieser Bestätigung meiner
Unzurechnungsfähigkeit — die mir vielleicht nützlich sein würde, wenn ich eines
Tages vor Gericht erscheinen müßte! — verschwand das Trio in dem düsteren
Korridor.
Ich ging die Treppe hinunter. Nach zehn Stufen
blieb ich wie angewurzelt stehen und rannte dann wieder nach oben.
Wie lautete noch das Urteil der
Gerichtsmediziner? Die Schüsse auf Briancourt-Barton waren aus einer Entfernung
von vierzig Zentimetern von schräg unten abgefeuert worden. Demnach mußte der
Mörder sehr viel kleiner gewesen sein als das Opfer.
* * *
Ich fragte den Beamten in dem Glaskasten, ob
Inspektor Faroux lange brauchen würde. Ein Achselzucken war die Antwort. Nicht
grade geschwätzig, der Mann. War mir auch lieber. Ich sagte, ich wolle warten,
und setzte mich auf eine Bank, deren Skaibezug von Generationen von schuldigen
oder unschuldig bezeugenden Hintern eingesessen war.
Heftig an meiner Pfeife ziehend, dachte ich
fieberhaft nach. Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen. Im hellen Rechteck des
Türrahmens erschien mein Freund Florimond. Er war alleine. Ich stürzte mich auf
ihn.
„Sie schon wieder!“ rief er ärgerlich.
Ich zog ihn von der Portiersloge fort, was gar
nicht schwer war. Er wollte sowieso in dieselbe Richtung.
„Hören Sie auf, den Menschenfresser zu spielen“,
flüsterte ich ihm zu. „Sie wissen doch inzwischen, daß meine Visitenkarte
zufällig in Bartons Hosentasche gelandet ist. Der Fall interessiert mich aber
immer noch. War’s der Zwerg?“
Ich lag richtig. Der Zirkusmensch wurde zwar im
Moment noch als Zeuge vernommen, hatte aber gute Chancen, des Mordes an Barton
angeklagt zu werden. Beim Durchstöbern ihrer staubigen Akten hatten sich die
Ermittler an Mac erinnert. Er war ein alter Freund von Thévenon, den er wie
einen Halbgott verehrte. Bei ihm hatte der von allen und überall Verspottete
Trost gefunden. Das hatte das Stiefkind der Natur dem toten Gangster nie
vergessen. Der Schluß lag nahe, daß er den Tod
Weitere Kostenlose Bücher