Nestor Burma in der Klemme
Bluff.“
Für Emmanuel Chabrot schien sich meine
Sekretärin nur am Rande zu interessieren. Vielleicht, weil er in ihrer Theorie
keinen Platz hatte. Dagegen fiel sie mit einer Heftigkeit, die mir gar nicht
gefiel, über Lydia Verbois her.
„Gleich morgen früh“, unterbrach ich sie,
„werden Sie alle Modehäuser abklappern. Sie müssen herausfinden, wo das Mädchen
arbeitet. Ich hoffe, ich habe sie Ihnen hinreichend beschrieben. Leider kann
ich Ihnen kein Foto von ihr geben. In den Schubladen, die ich durchwühlt habe,
lag keins.“
„Oh“, rief Hélène lächelnd, „Sie haben ihre
Schubladen durchwühlt. Doch sicher, um nachzusehen, ob alles schön aufgeräumt
war, oder?“
„Ich habe einen Revolver gesucht, wenn Sie’s
genau wissen wollen.“
„Ach, dann meinen also auch Sie, daß...“
„Reine Routinesache... Das Mädchen ist ganz
anders, als Sie denken. Wenn Sie sie gesehen hätten...“
„Ja, ja“, seufzte meine Sekretärin, „Verstehe!
Die Kleine ist also das andere, weswegen Ihnen der Fall nicht
gleichgültig ist. Die scheint ja mächtig Eindruck auf Sie gemacht zu haben!“
„Das will ich nicht abstreiten.“
„Wollen Sie sich etwa deshalb nicht davon
überzeugen lassen, daß sie die Täterin ist?“
„Im Gegenteil: Genau deshalb bedaure ich, daß
sie nicht die Täterin ist.“
„Was?“
„Da sind Sie platt, hm? Was soll ich machen?
Mein Charme ist nicht unwiderstehlich... Wenn Lydia Verbois die Mörderin wäre,
hätte ich einen Trumpf in der Hand!“
„Also wirklich!“ rief Hélène entrüstet.
* * *
Ich verabschiedete mich von meiner Sekretärin.
Von einem Bistro aus rief ich die Auskunft an und erkundigte mich nach der
Telefonnummer von Lydia Verbois in Bois-le-Roi, 32, allée du Platane. Es war
die 3-95. Hörte sich an wie’n Sonderangebot im Supermarkt. Ich wählte die
Nummer. Niemand meldete sich. Das überraschte mich nicht.
Ich verließ das Bistro. Die Straßen waren
menschenleer, dunkel und kalt. Vor Kinos und Hotels standen französische Flics
und deutsche Soldaten. Es nieselte. Ich schlug den Mantelkragen hoch, zog den
Zug tief in die Stirn, steckte mir eine Pfeife in den Mund und vergrub beide
Hände in den Manteltaschen. Beim Gehen kommen mir die besten Ideen.
Nicht nur Lydia Verbois war lärmempfindlich.
Auch die beiden „Einbrecher“ waren darauf bedacht gewesen, jegliches Aufsehen
zu vermeiden. Obwohl sich die Situation für sie günstig entwickelt hatte, waren
sie kein Risiko eingegangen und hatten das Weite gesucht. Kein Schuß war aus
ihrer Waffe gefallen.
Meine Phantasie erwärmte sich an einer Theorie,
die zwar nicht alle Geheimnisse, aber doch einen Zipfel des Schleiers
lüftete...
Außer dem Schleierzipfel wurde auch mein Hut
gelüftet. Ein Windstoß hätte ihn mir beinahe vom Kopf gerissen. Ich befand mich
auf dem Pont au Change. Vor mir ragte ein abweisender, schwarzer Block auf: die Conciergerie .
Mir kam eine Idee.
Am Nachmittag war der Wachposten von meiner
Agentur abgezogen worden. Durch die offene, ehrliche Aussage meines Freundes
Fred war ich aus dem Schneider. Von den Flics hatte ich im Moment also nichts
zu befürchten. Vorausgesetzt, I.D.U.S. machte seine Drohung nicht wahr... Da
ich offiziell von dem Gespräch zwischen Faroux und Fred nichts wußte, konnte
ich eigentlich als empörter Bürger nachfragen, warum man meine Wohnung und mein
Büro durchsucht hatte. Dabei würde ich vielleicht ein paar Informationen
abstauben.
Es war gleich elf, aber ich wußte, welchen Ruf
Kommissar Martinot genoß. Ehrgeiz war kein Fremdwort für ihn, und es hieß, er
schliefe in der Tour Pointue. Ich hatte gute Chancen, ihn in seinem Büro
anzutreffen.
Der
Zwerg
Kommissar Hervé Martinot kaute auf einem
Streichholz. Seine Augen blickten ins Leere. Nur zu gerne gab er die
philosophische Haltung eines weisen Hindu auf, um mir gehörig den Marsch zu
blasen. Ich ließ es mit stoischem Gleichmut über mich ergehen.
Er verriet mir, warum er bei mir
Hausdurchsuchungen durchgeführt hatte und warum er den Wachposten abgezogen
hatte und warum er mich unerträglich fand. Von Elementen wie mir liefen, wenn
ich seine Meinung hören wolle (aber bitte doch!), viel zu viele frei rum! Wie
gestrichen voll er die Schnauze habe von Privatdetektiven, diesen schrägen
Vögeln am Rande des Gesetzes! Auf die Polizei würden sie pfeifen und mit
geheimnisvollen Mienen den Klienten das Geld aus der Tasche ziehen, und eine
richtige Regierung müsse diesen
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