Nestor Burma in der Klemme
Gemüse vor, das wie die Pastete nach Löschpapier schmeckte.
Um die Ehre des Kochs zu retten, entschied ich mich, den ekligen Geschmack
meiner Grippe zuzuschreiben.
Zum Kaffee bot der junge Mann den Damen
Zigaretten an. Seine Tischnachbarin nahm eine, Lydia Verbois lehnte ab. Dann
verlangten sie die Rechnaung, zahlten und machten Anstalten, das Lokal zu
verlassen. Zusammen. Das paßte mir gar nicht in den Kram. Als sich die Tür
hinter ihnen geschlossen hatte, stand ich von meinem Platz auf. Auf den
Nachtisch konnte ich verzichten. Meine Geschmacksnerven erwartete wohl ohnehin
keine Abwechslung.
Ich hatte Glück: Draußen auf dem Bürgersteig
trennte sich die Gruppe. Der junge Mann ging mit einer der Frauen in Richtung
Oper, die andere Frau — die einzige, die mich im Moment interessierte —
verschwand in Richtung Börse. Eine riesige Schultertasche mit den Initialen
L.V. schlug ihr gegen die Hüfte.
Ich legte einen Schritt zu und holte Lydia ein.
Als ich sie von hinten anquatschte, drehte sie sich um, bleich wie eine Tote.
Mein Schnupfen verbot mir zwar jeglichen Tabakgenuß, aber eine Pfeife konnte
ich mir wenigstens zwischen die Zähne stecken. Dazu setzte ich ein hämisches
Grinsen auf, wie ich es bei Privatdetektiven in amerikanischen Filmen gesehen
hatte.
„Das liebe Fräulein Daquin!“ säuselte ich.
„Was wollen Sie von mir?“ fragte sie.
Sie schien ihre Kaltschnäuzigkeit zurückgewonnen
zu haben.
„Mit Ihnen reden, nichts weiter“, antwortete
ich. „Ziemlich banal, aber so ist es nun mal. Ich möchte mich mit Ihnen
unterhalten.“
„Fassen Sie sich kurz, ich hab’s eilig.“
„Sie werden mich ertragen müssen, so lange ich
es will.“
„Das möchte ich bezweifeln.“
Ich lächelte gewinnend.
„Sie haben sich sehr verändert seit neulich! Sie
wirken heute viel selbstsicherer. Sind Sie nicht mehr lärmempfindlich? Fürchten
Sie nicht mehr, Aufsehen zu erregen? Aber bitte, Sie können ja einen Polizisten
zu Hilfe rufen! Da drüben steht einer...
Scheint sich fürchterlich zu langweilen. Los,
verschaffen Sie ihm Abwechslung in seinen eintönigen Dienststunden!“
„Was wollen Sie von mir?“ wiederholte sie, jetzt
schon etwas zahmer.
„Mit Ihnen die Unterhaltung von neulich
fortführen. Da die Straße ein denkbar ungeeigneter Ort für vertrauliche
Gespräche ist, schlage ich vor, Sie begleiten mich in mein Büro. Es ist gleich
hier um die Ecke. Wir schlendern jetzt ganz gemütlich über die Straße, wie zwei
Verliebte. Und, Mademoiselle Verbois, damit Sie mir nicht noch mal davonlaufen,
nehme ich vorsichtshalber Ihren Arm...“
Als ich sie mit ihrem richtigen Namen ansprach,
zuckte sie zusammen. Widerstandslos ließ sie sich über die Straße führen. Wir
gingen schweigend die Treppe zu meiner Agentur hinauf. Das Mädchen wirkte müde,
stolperte zwei- oder dreimal. Das Schild an meiner Tür ließ sie
zurückschrecken.
„Wohin bringen Sie mich?“ stieß sie hervor.
Ich erklärte ihr, welchen Beruf ich ausübe. Dann
betraten wir die Agentur Fiat Lux.
„Oh, guten Tag, Mademoiselle Verbois!“ rief
Hélène ziemlich einfältig.
Das junge Mädchen riß die Augen auf. Dann
antwortete sie ungezwungen-liebenswürdig:
„Ich glaube, Sie waren heute morgen bei Irma
und Denise.“
„ Stimmt.“
Hélène lächelte die Besucherin an. „Das bringt mein Beruf so mit sich. Sind Sie
mir böse deswegen?“
Meine Agentur ist kein Teesalon. Ich unterbrach
das Geplauder und fragte Hélène in möglichst offiziellem Ton, ob sie mit Marc
Covet telefoniert und Neuigkeiten von Reboul habe. Der erste könne die
Redaktion nicht vor dem späten Nachmittag verlassen, und der zweite sei immer
noch auf der Jagd nach den gewünschten Neuigkeiten, antwortete meine
Sekretärin. Ich ging mit der... Patientin ins Allerheiligste. Mit einer
Ungezwungenheit, die nichts Gutes verhieß, setzte sie sich und ließ sich von
mir mustern. Schließlich ging sie zum Angriff über.
„Nun?“ sagte sie. „Was wollen Sie von mir?“
„Immer noch dasselbe: mit Ihnen reden“,
antwortete ich seufzend. „Wissen, warum Sie aus einem Haus rausgestürzt kamen,
in dem kurz darauf ein Mann ermordet wurde; warum es Ihnen alles andere als
unangenehm war, daß ganz in der Nähe eine Bombe runtergekommen war; warum zwei
Gangster Sie in Ihrer Wohnung überfallen haben; und vor allem, warum Sie mich
eingeschläfert haben, um mich loszuwerden.“
„Das sind viele Fragen auf einmal“, bemerkte
sie.
„Hab noch ‘ne ganze
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