Nestor Burma in der Klemme
Reihe davon auf Lager. Aber
alles zu seiner Zeit.“
„Wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, mir diese
Fragen zu stellen?“
„Ich bin Detektiv.“
„Privatdetektiv!“ präzisierte sie.
„Sag ich ja. Würden Sie sich die Fragen lieber
von einem richtigen Polizeibeamten stellen lassen?“
„Das hab ich nicht gesagt“, beeilte sie sich zu
antworten. „Ich habe nur laut gedacht... Hat Sie jemand beauftragt, mich
auszufragen?“
„Nehmen wir das ruhig mal an.“
„Heißt das ja oder nein?“
„Wenn Sie alle meine Fragen mit Gegenfragen
beantworten, sitzen wir noch lange hier. Ich habe gesagt: Nehmen wir das mal
an. Im übrigen fällt das unters Berufsgeheimnis.“
Sie lachte.
„Es gibt nicht nur ein Berufsgeheimnis“, sagte
sie, „sondern auch eine Berufskrankheit. Und daran leiden Sie! Neulich nachts,
in meiner Wohnung, konnte ich mir Ihre Neugier nicht recht erklären. Jetzt weiß
ich, daß Sie Privatdetektiv sind. Das erklärt alles! Sie machen aus jeder Mücke
einen Elefanten.“
„Auch das können wir ruhig mal annehmen“,
erwiderte ich gelassen.
Sie senkte den Vorhang ihrer langen Wimpern über
ihren Blick.
„Wenn wir schon beim Annehmen sind“, hauchte
sie, „dann nehmen Sie bitte auch das als wahr an, was ich Ihnen jetzt sage.
Neulich habe ich Sie für einen Schürzenjäger gehalten...“
„Ja, ja“, unterbrach ich sie, „das Märchen haben
Sie mir schon in Bois-le-Roi erzählt. Was aber immer noch nicht erklärt, warum
Sie mir das Schlafmittel in den Kaffee getan haben.“
„Nein? Ich denke, Sie sind Detektiv! Ich legte
keinen Wert darauf, mit Ihnen die Nacht zu verbringen. Was kann eine schwache
Frau schon tun, um einen lästigen Verehrer loszuwerden?“
„Telefonieren, zum Beispiel! Sie hätten sich im
Schlafzimmer einschließen und die Polizei alarmieren können. Bis ich die Tür eingetreten
hätte, wären sie schon längst dagewesen.“
„Ich helfe mir lieber selbst“, erklärte sie
schroff.
„Ach! Anarchistin, was?“
„Nehmen wir das ruhig mal an.“
„Das erklärt natürlich so einiges
„Ja, das erklärt tatsächlich ganz bestimmte
Dinge.“
„Auch die überstürzte Flucht aus Ihrer Wohnung?
Reagieren Sie immer so, wenn jemand Sie hartnäckig verfolgt?“
„Ich hatte Angst“, gestand sie nach kurzem
Zögern. „Die beiden Männer hätten wiederkommen können. Außerdem befürchtete
ich, Ihnen eine zu große Dosis in den Kaffee geschüttet zu haben... Deswegen
hab ich mich bei einer Freundin verkrochen.“
Mit einer Handbewegung wischte ich ihre Ausreden
zur Seite. „Der Mann, der an jenem Morgen ermordet wurde“, sagte ich langsam,
„in dem Haus, das Sie angeblich nur als Abkürzung benutzt haben — dieser Mann
war nicht irgendwer. Der Fall ist schwerwiegender. Er hieß genausowenig
Briancourt wie Sie Daquin oder ich Henry. Sein richtiger Name lautete Barton.
Übrigens haben Sie das sicher schon in der Zeitung gelesen...“
„Was geht mich das an?“ rief sie aggressiv. „Sie
sollten nicht überall Gespenster sehen, Monsieur Burma und Ihre abenteuerlichen
Schlüsse daraus ziehen! Ich habe Ihnen die Wahrheit erzählt. Sie können mir
nicht das Gegenteil einreden... Brauchen Sie mich noch?“
„Moment! Da ist noch jemand umgebracht worden,
vor kaum zwei Stunden. Wo und wie, weiß ich nicht. Nur daß er tot ist, das weiß
ich. Chabrot hieß er. Emmanuel, wie der König. Zu Lebzeiten war er auch einer.
Erpresserkönig. Und außerdem Chef des Skandalblättchens In-Diskret Und
Schnell, abgekürzt I.D.U.S. Sagt Ihnen das was?“
„Nein, das sagt mir nichts. Lassen Sie mich
jetzt gehen?“
„Einen Augenblick noch. Sagt Ihnen das hier
wenigstens was?“
Über den Schreibtisch hielt ich ihr das Foto
hin, das ich bei Mac Guffine gefunden hatte. Panik flackerte in den Augen des
Mädchens auf.
„N...nein“, stotterte sie. „Ich kenne das Foto
nicht.“
„Meine Frage war vielleicht unglücklich
gestellt. Also noch einmal: Sind Sie das auf dem Foto?“
„Nein. Die Frau sieht mir ziemlich ähnlich.“
„Haben Sie eine Schwester?“
Lydia Verbois stand auf.
„Wenn Sie nichts dagegen haben, möchte ich die
Unterhaltung beenden“, sagte sie und strich ihren Rock glatt. „Ich weiß gar
nicht, warum ich mich darauf eingelassen habe. Vielleicht weil ich gelernt
habe, daß man Verrückten nicht widersprechen soll. Aber Sie können mich nicht
gewaltsam hierbehalten! Wenn Sie das tun, sehe ich mich gezwungen, meinen
Prinzipien untreu zu werden:
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