Nestor Burma in der Klemme
Bois-le-Roi.
Und schließlich, als du mein Büro verlassen hast. Und jedesmal lag vorher oder
nachher eine Entscheidung an. Bei dir zu Hause hattest du dich entschlossen,
einen lästigen Verehrer aus dem Weg zu räumen. In meinem Büro hattest du mir
gerade eine plausible Erklärung für dein Verhalten in den letzten Tagen
geliefert. In der Rue Lecourbe hast du dir aus Erleichterung eine Zigarette
angezündet. Den kurzen Moment, in dem das Licht ausging, hattest du genutzt, um
die Browning in einen der Kellerräume zu werfen. Die Anekdoten über den
eifrigen Flic hatten dich wohl nervös gemacht. Also nichts wie weg mit der
Waffe! An dem Tag mußt du übrigens eine weitere Zigarette geraucht haben.
Geraucht! Zwei- oder dreimal dran gezogen und sie dann auf den Boden geworfen,
wie es so deine Art ist! Die Kippe wurde von einem Jungen des Räumkommandos auf
der Treppe gefunden, aufgehoben und zu Ende geraucht. Diese Zigarette hattest
du angezündet, kurz nachdem du mit Barton abgerechnet hattest.“ Ihre Augenlider
wurden schwer und noch dunkler, als es der Lidschatten erlaubte. Ihre
Ohrläppchen waren weiß.
„Na, was sagst du dazu?“
Ohne die Augen zu öffnen, stieß sie gespielt
ironisch hervor: „Das ist hier wie bei ‘ner Hellseherin! Na ja, du bist ja auch
Detektiv. Ihr lest alle aus Handlinien, wenn auch aus verschiedenen...“
„Nein, nein! Keine Fingerabdrücke, wenn du
darauf hinauswillst. Du weißt sehr gut, daß du an dem Tag Handschuhe getragen
hast.“
Sie überhörte meinen Einwurf und fuhr fort:
„Wenn ich dir ‘ne Haarlocke von mir gebe, liest
du bestimmt daraus, daß ich mit zehn Jahren krank geworden bin, weil mir der
Weihnachtsmann keine Puppe gebracht hat...“
„Ich glaub nicht an den Weihnachtsmann. Nur ein
ganz klein wenig an die Wissenschaft. Du wirst lachen, aber ich hab tatsächlich
‘ne Haarlocke von dir. Von der ersten Nacht, die du hier verbracht hast...
Erinnerst du dich? ... Du weißt doch: Man darf nichts außer acht lassen! Und
ein Flic ist und bleibt eben ein Flic. Die Analyse hat ergeben, daß die
wunderbare Farbe deiner Haare echt ist. Jeanne Barton jedoch war brünett, fast
schwarz... War sie zumindest noch 1938...“
„Warum versuchst du mir dann einzureden, daß
Jeanne und ich ein und dieselbe Person sind? Meinst du, ich hätte eine Sekunde
lang mit dem Gedanken gespielt, diese wunderschöne Haarfarbe zu verändern?“
„Natürlich nicht! Das wär beinahe ‘ne Todsünde!
Ich mein das wirklich so.“
„Also warum...“
„Wegen der Kinderkrankheit, von der du eben
gesprochen hast. War das nicht zufällig Typhus?“
Sie zuckte die Achseln, antwortete aber nicht.
Ihr Gesicht war noch blasser geworden.
„Nehmen wir mal an, daß du Typhus gehabt hast.
Aber nicht mit zehn, sondern mit zwanzig Jahren. Und nehmen wir weiter an, daß
dir davon die Haare ausgegangen sind. Aus einer Laune heraus kaufst du dir eine
schwarze Perücke. Seit Conchita Moralés in Paris war, sind dunkle Raben en
vogue. Das macht dir solch einen Spaß, daß du dich mit der schwarzen
Perücke fotografieren läßt. Das Foto schenkst du jemandem, der dir lieb und
teuer ist. Aber dieser Jemand kennt die Gefahr solcher Souvenirs. Er wirft das
Foto in den Papierkorb, und ein Freund von ihm fischt es wieder raus. Für den
ist es nämlich so was wie ‘ne Reliquie. Von der Natur mit Zwergwuchs bestraft,
ist seine Sexualität ziemlich verkorkst. Er verliebt sich natürlich in dich.
Treibt den Kult sogar so weit, fünf Jahre später einen Mord zuzugeben, von dem
er annimmt, daß du ihn begangen hast. Du hast von seiner Leidenschaft nie was
bemerkt, und Mac Guffine hat dir seine Liebe nicht gestanden. Warum sollte er
auch? Er als Erdmännchen hätte sich von dem angebeteten Stern nur einen Korb
holen können. Aber das hält ihn nicht davon ab, dich abgöttisch zu lieben.
Außer Profi-Fotos hat er noch mindestens ein weiteres, das er selbst geschossen
hat. Darauf sieht man Jeanne Barton zusammen mit einem Mann, von dem nur die
untere Gesichtshälfte zu sehen ist. Henri Barton? Nein, wahrscheinlich handelt
es sich um Thévenon. Der Zwerg war dem Gangster hündisch ergeben. Welchen
Schluß läßt das zu?
Offensichtlich gehst du sehr verschwenderisch
mit deinen Reizen um. Das soll kein Vorwurf sein, chérie ... Du warst
Thévenons Geliebte. Dein Ehemann hat erst nach der Suche in Le Havre von seinen
Hörnern erfahren. Rasend vor Wut will er sich rächen... und liefert seinen Boß
ans Messer. Uber den
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