Netha-Chrome
sagte ich. Die KI neigte den Kopf zur Seite.
„Aber zwei Kanonen sind besser als eine“, gab sie trocken zurück. Und damit hatte sie wohl Recht. „Und außerdem…habe ich momentan überhaupt keine Ahnung, wo sich das Office befindet.“ Ich musste schmunzeln als ich in ihr Gesicht schaute. Die Erinnerungslücken machten der KI anscheinend noch mehr zu schaffen als mir. Das war aber auch nur allzu logisch. Eine KI wie Sydney war daran gewöhnt, jede nur erdenkliche Information, die sie in ihrem Leben gesammelt hatte, sofort abrufen zu können. Und nun war ein Großteil davon verschwunden, wie bei einem Filmriss nach einer durchzechten Nacht. Ich kannte mich mit solchen Filmrissen aus, ich hatte schon oft welche erlebt. Obwohl man das, was wir gerade durchmachten, wohl nicht mehr als Filmriss bezeichnen konnte. Es war der totale Blackout. Für die KI schien das eine Erfahrung zu sein, mit der sie absolut nicht umzugehen vermochte.
„Haben Sie…na ja, eine Art Kampfmodus?“, fragte ich Sydney.
„Ich bin mit multiplen Taktiken und Kampfmethoden programmiert worden, Mr. Arkansas. Einen separaten Kampfmodus gibt es nicht, ich bin schließlich kein Kriegscyborg. Aber ich kann mich verteidigen, wenn es notwendig wird.“
„Gut, denn vielleicht werden Sie das müssen. Also, gehen wir?“
„Wir wissen immer noch nicht, in welche Richtung das Fellowship liegt“, entgegnete Tijuana. Meine Blicke schweiften durch das Tal vor uns. Die gigantischen Glastürme der Stadt streckten sich wie Stalagmiten gen Glaskuppel. Von der Fläche her war Cydonia City nicht groß, aber ohne Führung durch ein Navigationssystem war es dennoch ziemlich schwierig, sich in den Straßenschluchten zurechtzufinden. Aber verdammt noch mal, es musste doch ohne die Hilfe der Technik möglich sein, ein Krankenhaus zu finden?
„Wir gehen einfach in diese Richtung“, sagte ich und zeigte in Richtung Tal. „Irgendwie finden wir dieses verfluchte Krankenhaus schon!“
Etwas weiter bergab gab es eine Tubie-Haltestelle, aber dort war kein einziger Tubie zu sehen, also folgten wir der Strecke bis zu einer Gabelung. Dort hielten wir das erste Mal inne. Kein einziger Tubie fuhr mehr, alles stand still. Das war gespenstisch, zumal es auch nirgendwo mehr Menschen gab. Die Kanzeln der Gefährte standen sperrangelweit offen, die Fahrgäste waren anscheinend zu Fuß weiter.
Etwas raschelte in einem Gebüsch neben uns. Sydney und ich griffen zu unseren Waffen, als ein grauhaariger Mann aus dem Gestrüpp sprang und wie wild mit den Armen in der Luft herumfuchtelte.
„Sie kommen! Die Terraner kommen! Wir sind verloren!“, schrie er panisch. Seine Augen waren weit aufgerissen, seine Klamotten vollkommen verdreckt. Sydney wollte ihn gerade beruhigen, da stieß er sie zur Seite und verschwand schreiend in Richtung Innenstadt.
„Das ist echt gruselig“, murmelte Ti, als unsere Blicke dem Mann nachfolgten.
„Einige Menschen reagieren vollkommen irrational auf Stresssituationen“, konstatierte Sydney trocken. „Ich befürchte, dass es unter den drei Millionen Einwohnern der Stadt eine Menge Menschen gibt, die ebenso auf die Geschehnisse reagieren. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Es könnte zu einer Massenpanik gekommen sein. Oder zu gewalttätigen Unruhen.“
Ich schluckte schwer. Eine Massenpanik in einer überdeckelten, vollkommen überbevölkerten Stadt könnte in einer Katastrophe enden.
Ich schaute Tijuana an. Sydneys Befürchtungen trugen nicht gerade dazu bei, dass die Sorgen der Latina um ihre Freundin weniger wurden.
Je weiter wir uns der Innenstadt näherten, desto mehr Menschen trafen wir, die völlig konsterniert durch die Gegend liefen. Einige waren panisch, andere verwirrt. Viele hatten sich mit irgendwelchen Gegenständen bewaffnet, die sie gerade zur Hand hatten. Stöcke, Metallstangen, Äxte aus Feuerlöschstationen. Sydney und ich zogen die Waffen aus unseren Holstern, aber keiner von ihnen griff uns an. Sie liefen einfach an uns vorbei, als existierten wir gar nicht.
Tijuana schaute sich ängstlich um. Die unübersichtliche Lage und die Tatsache, dass sie keine Waffe dabei hatte, zehrten sichtlich an ihren Nerven. Ich konnte es ihr nachfühlen. Ich war heilfroh über die schwere Waffe in meiner Hand, wenngleich ich mir nun vorkam wie der letzte Arsch. Ich hatte eine Waffe, die Frau an meiner Seite nicht.
„Hier“, sagte ich und hielt Tijuana die Sixton unter die Nase. „Nimm sie.“ Die Latina schaute mich erschrocken
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