Nett ist die kleine Schwester von Scheiße
nichts angingen.
Helg Sgarbi wurde einer der Berühmtesten seiner Branche, weil er vier Jahre später die reichste Frau Deutschlands, Susanne Klatten, dazu brachte, ihm zehn Millionen Euro zu schenken. Als er aber mehr Geld verlangte und sie ihm das nicht geben wollte, erpresste er auch sie mit Aufnahmen von ihren gemeinsamen Liebesnächten. Susanne Klatten jedoch zeigte ihn an, und der Fall durchlief die Medien.
Was hat ein Mann an sich, der eine Frau im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte dazu bringt, ihm zehn Millionen Euro zu schenken? Und wie ist es möglich, dass eine erwachsene Frau genau dem Mann, den sie für diese Art von Verbrechen bestraft sehen will, in die Arme sinkt?
Eines ist klar: Helg Sgarbi muss ganz sicher das besitzen, wovon viele Menschen gerne mehr hätten: Charme.
Denn Charme öffnet Türen, die einem sonst verschlossen bleiben. Charmanten Menschen fliegt vieles zu, wofür andere kämpfen müssen: Partner, Sex, Freunde, interessante Aufgaben, ein Lächeln auf der Straße … Man macht für sie Ausnahmen, sie werden eingeladen, erhalten Aufmerksamkeit, ohne dass sie darum bitten müssten. Kurzum: Charmante Menschen bekommen alles, was das Leben reich und wundervoll macht.
Wer charmant ist, muss auch nicht unbedingt schön sein, und Charme verfliegt auch nicht im Alter, ja er nimmt vielleicht im Laufe des Lebens sogar zu. Charme kostet nichts und bringt so viel.
Charme kostet nichts und
macht so vieles möglich.
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Thomas Holst, auch bekannt als der Heidemörder, konnte am 27. September 1996 aus der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses Ochsenzoll in Hamburg fliehen, weil ihm seine Therapeutin Tamar Segal dabei half. Sie hatte sich in ihn verliebt, obwohl sie seine Krankenakte kannte und wusste, dass er drei junge Frauen vergewaltigt und bestialisch ermordet hatte. Auch seine Prognose stand in den Akten: Thomas Holst galt als untherapierbar. Drei Monate später wurde Tamar Segal verhaftet, und Thomas Holst stellte sich der Hamburger Polizei. Kurz darauf heirateten die beiden. Bis heute ist die Ehe, trotz einer von Thomas Holst eingereichten Klage, nicht vollzogen – denn niemand kann für die Sicherheit seiner Ehefrau garantieren, wenn sie mit ihrem Ehemann im Besucherraum des Klinikums Nord allein bleibt.
Es ist unglaublich, wie viele Chancen ein Mensch noch erhält, obwohl er bereits »Fehltritte« begangen hat, die sehr viel schlimmer sind als ein falsches Wort oder eine ungeschickte Geste – Dinge, für die sich mancher bereits tage- oder wochenlang schämt. Normale Menschen glauben oft schon aus weit geringerem Anlass, anderen nie wieder unter die Augen treten zu können.
Wie haben aber Persönlichkeiten wie Helg Sgarbi und Thomas Holst es geschafft, Frauen (und auch Männer) derart für sich einzunehmen, dass das, was sie getan haben, vollkommen in den Hintergrund tritt? Was ist an ihnen so faszinierend, dass Frauen sogar die Gefahr des gesellschaftlichen Ruins in Kauf nehmen?
Charme verleiht Macht über die Menschen, ist aber nicht allen gegeben. Er ist ein schwer zu greifendes Talent, das von all denen bestaunt wird, die es nicht besitzen. Charme scheint angeboren zu sein, denn Eltern erkennen diese Gabe bereits bei ihren kleinen Kindern. Natürlich nutzt nicht jeder dieser Gabe dazu, andere zu übervorteilen, aber weil Betrüger, Hochstapler und Heiratsschwindler ihren Charme ganz gezielt einsetzen und in den meisten Fällen sogar gerne darüber reden, lässt sich an ihnen wunderbar untersuchen, was Charme im Einzelnen ausmacht.
Auffällig ist, dass ein charmanter Mensch viele Schwächen haben und sich mehr erlauben darf als andere: Beruflicher Misserfolg beeinträchtigt seine Anziehungskraft zum Beispiel nicht, und auf Allgemeinbildung ist er nicht angewiesen, um in einem Gespräch zu brillieren. Sogar wenn er pöbelt, rülpst, kreischt und zappelt, trägt dies seltsamerweise zu seiner anziehenden Aura bei. Wenn er allerdings vollendete Umgangsformen besitzt, scheinen genau diese seinen Charme auszumachen: Viele Frauen, die auf einen Heiratsschwindler hereingefallen sind, loben im Nachhinein dessen gute Manieren und höfliches Auftreten. Dabei kommt es darauf nicht wirklich an. Ein Beispiel ist die weibliche Hauptfigur aus dem Film Pretty Woman . Die Prostituierte Vivian Ward, gespielt von Julia Roberts, soll sich unter die gehobene Society mischen – und das, obwohl sie keinerlei Ahnung hat, wie man sich in einer solchen Umgebung
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