Neu-Erscheinung
gerne hätte ich jetzt die Zwiebelchips gehört.
»Günter, alles klar?« Ich bemühte mich um ein Mindestmaß an aufgesetzter Jovialität.
»Alles klar, hier brennt der Baum.« Und das meinte er ganz offensichtlich positiv. »Mensch, Litten, Ihre Geschichte, toll, einfach toll.«
»Danke.«
»Und das ist gerade mal der Anfang. Jetzt halten Sie sich fest, die
Würzburger Nachrichten
steigen mit ein.«
»Wie?«
»Die haben unsere Geschichte gekauft ... wegen Würzburg! Mensch, Litten, zwei Sachen ...«
»Ähm, ja?«
»Erstens müssen Sie Ihre Messias noch mehr auf Reisen schicken. Wir ziehen das jetzt flächendeckend auf.«
»Flächendeckend?!«
»Würzburg, Nürnberg, Bamberg ... aber auch mal Norden: Flensburg, Kiel, Eckernförde. Den Osten machen wir später, dauert eh länger, bis die was mitkriegen, dann aber richtig. Dresden, Magdeburg, Görlitz, was vergessen?«
»Berlin?«
»Berlin ist nicht Osten, das machen wir vorher, aber gut, dass Sie mich dran erinnern.«
»Aber ... die Geschichte!«
»Papperlapapp, Geschichte. Sie machen die Geschichte. Sie! Mensch, Litten, wir verscheuern Ihre Messias bundesweit. Würzburg ist erst der Anfang.«
Wenigstens siezte er mich wieder.
»Ich weiß nicht.«
»Mensch, Litten, wenn ich dich nicht so gut kennen würde. Du machst jetzt mal schön den Atlas auf, und dann geht die Messias auf Wanderschaft ... war Jesus doch auch.«
»Günter, ich ... –«
»Ach, fast vergessen, da war ja noch was. Du kriegst ’ne Praktikantin nach Muenden.«
»Wir sind eigentlich gut besetzt.«
»Mensch, Litten, nur offiziell!«
»Offiziell?«
»Inoffiziell musst du sie natürlich briefen, die Kleine kann doch nicht einfach so zu Barbara Freitag.«
»Barbara Freitag? Äh ... ich meine, wie kommen Sie, wie kommst du auf einmal auf Barbara Freitag?«
»Na, wegen Bella Gabor, wenn deine Frau nicht kann, muss ’ne andere hin, und ich hab mich darum gekümmert.«
»Ah ja.«
»Übermorgen kommt die Kleine, offiziell als Praktikantin, wegen Journalistikstudium und so ... du erzählst ihr, was sie wissen muss, und dann zünden wir die Barbara-Freitag-Rakete, alles klar?«
»Ehrlich gesagt ...«
»Prima, Litten. Mensch, mit dir hab ich echt ’n Fang gemacht.«
»Danke, aber wenn sie bei uns ein Praktikum macht, kann sie doch unmöglich später als Bella Gabor auftreten, ich meine, öffentlich. Meine Kollegen sind ja nicht blöd.«
»Stimmt, Litten, stimmt.«
»Ich bin ehrlich gesagt froh, dass Sie das auch so sehen.«
»Perücke!«
»Wie, Perücke?«
»Die setzt ’ne Perücke auf, ’n bisschen Schminke, Sonnenbrille, geht schon, merkt keine Sau.«
»Ich glaube nicht, dass ...«
»Wird schon, keine Angst, Litten! Die Kleine heißt übrigens Dana Bischoff. Ich muss los, in diesem Sinne, melde mich!«
Klick. Aus.
Dana Bischoff war auf dem Weg zu mir. Das dritte Drama hatte mich erreicht.
DIE MESSIAS Folge 10
Resi liegt in einem Beobachtungsraum. Das kleine Bullauge in der schweren Tür gibt den Blick frei auf acht Quadratmeter Hoffnungslosigkeit in strengem Schwarz-Weiß.
Sie starrt zur Decke und atmet leicht und regelmäßig. Zu regelmäßig. Das arme Kind hat eine Ladung Diazepam intus, und so wie sie daliegt, hätte man damit auch ein ausgewachsenes Nashorn in den Dämmerzustand versetzen können. Resis Kontakt zur Außenwelt ist vollständig abgebrochen, ihre Synapsen zum Nichtstun verdammt. Und das alles auf Rezept.
Was hatte sie getan? Sie hatte die Wahrheit gesagt. Es gibt Menschen, die behaupten, dass die Wahrheit nur die Summe aller Erfahrungen ist. Mag sein, aber da jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen macht, muss es dann doch wohl auch verschiedene Wahrheiten geben. Resis Wahrheit und meine decken sich. Sie hat das gesagt, was auch ich gesagt hätte. Sie hat das Recht der Frauen auf echte Emanzipation in der Kirche proklamiert. Vielleicht ein wenig spektakulär, vielleicht ein bisschen zu laut, aber auch bei feindlichster Betrachtung hat sie in der Sache recht. So wie ich.
Wir Frauen haben ja nun wirklich nicht allzu viel zu melden. Das war aber nicht immer so.
Die christlichen Urgemeinden hatten die Botschaft meines Bruders nämlich nicht nur stumpf männlich übersetzt, das hatten sich ein paar Schlaumeier mit Bartwuchs und Machtgelüsten erst viel später überlegt; das Neue Testament ist voll von Quellen, die eindeutig belegen, dass wir Frauen im Gemeindeleben gleichberechtigt aktiv waren. Frauen lasen SEIN Wort und übersetzten es, damit es
Weitere Kostenlose Bücher