Neu-Erscheinung
Adrenalin in seine Tanks zurückkehrt und der ruckartig zusammengezogene Magen sich wieder in seine Ausgangsposition begibt. Bei mir war er nämlich unterhalb der Kniekehle gerutscht.
»Sag mal, kommst du eigentlich pünktlich nach der Arbeit zum Gemeindefest?«
»Natürlich. Ich komm doch immer pünktlich.«
Ich in der Höhle des Löwen, die Stimme Roms
und endlich stark!
Ich kam über eine Stunde zu spät. Der liturgische Tanzkreis hatte bereits mehrere Runden über den Pfarrplatz gedreht und warb nun unter den Umstehenden um weitere Mitglieder. Besonders Männer wurden gesucht, da das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Tänzern 1 : 10 war. Und der eine liturgische Tänzer, ein Realschullehrer mit Burnout-Syndrom, war offensichtlich nur auf ausdrücklichen Wunsch seiner Gattin bereit, den komplizierten Schritten mindestens einmal in der Woche zu folgen. An den restlichen Tagen folgte er seiner burschikosen Frau, was den Ausdruck mangelnder Lebensfreude in seinem Gesicht hinlänglich erklärte.
Die Dekoration des Pfarrfestes stand in diesem Jahr unter dem Motto GEMEINSAM NICHT EINSAM . Ein Motto, das nicht unumstritten war. Inhaltlich konnten es die verantwortlichen Pfarrgemeinderatsmitglieder alle akzeptieren, aber für die Mitglieder des Festausschusses stellten sich unmittelbar nach der Abstimmung viele Fragen. Allen voran die Frage, wie man GEMEINSAM NICHT EINSAM dekorieren soll.
Nun ja, dekoriert wird auf dem Platz, um eine alte Fußballerweisheit mal in Richtung Pfarrfest zu schieben. Ich sah die gleichen bunten Fahnen und Pfarrwimpel wie im letzten Jahr, und auch die Bilder aus der DRITTEN WELT , die seit Jahren politisch korrekt nur EINE WELT war, hingen bereits vor genau zwölf Monaten an gleicher Stelle. Damals lautete das Motto GLAUBE VERBINDET .
Aber die Wurfbude der Ministranten, die immer heimlich hinter dem Pfarrbüro rauchten und interessante Details aus der Gemeinde ertuschelten, stand in diesem Jahr nicht vor dem Hinterausgang der Kirche, sondern an prominenter Stelle direkt neben dem Waffelstand der Caritas. Keine zehn Meter vor der Wohnung von Pfarrer Nordermann.
Wie immer war der beliebteste Ort des Pfarrfestes das Bermudadreieck, bestehend aus Grillstand, Bierwagen und Bierzeltgarnitur.
Aufgrund meiner Verspätung, deren Grund in einem einstündigen Telefonat mit Dana Bischoff lag, war ich verpflichtet, nicht direkt das Bermudadreieck anzusteuern, sondern ein paar sehr interessiert wirkende Runden über den Pfarrplatz zu drehen und alles zu fotografieren.
Bettina verkaufte fair gehandelte Schokolade an einem Stand, dessen Einnahmen die bolivianische Diaspora auf den richtigen Weg bringen sollten.
Als sie mich sah, kniff sie kurz die Augen zusammen und deutete auf ihre Uhr. Ich zuckte verlegen mit den Schultern und kaufte zehn Tafeln Diasporahilfe. Eine ziemlich teure Zartbitterentschuldigung.
»Stress gehabt?«, fragte Bettina, die mir schon nicht mehr böse war.
»Wie immer. Wie lange musst du noch hier?«
»Hab gerade erst angefangen.«
»Soll ich dir was zu trinken holen?«
»Danke, wir trinken später was zusammen. Achtung, nicht umdrehen, Nordermann.«
Nur einen winzigen Augenblick später legte sich eine Hand auf meine Schulter.
»Herr Litten, schön, dass Sie da sind«, drang die sanft getrimmte Stimme unseres Pfarrers aus dem Off an mein Ohr.
Ein letzter kleiner Austausch von einem lieben Blick zwischen mir und Bettina, dann drehte ich mich um.
»Mensch, das sieht aber alles ganz toll aus, Herr Pfarrer.«
»Ja, aber in diesem Jahr stellte sich die Dekoration doch als sehr schwierig heraus. Das Motto war nicht einfach umzusetzen. Aber ich bin froh, dass wir es so gut geschafft haben.«
»Das können Sie auch, wirklich schön«, schleimte ich.
»Herr Litten, wenn ich Sie mal kurz sprechen dürfte?«
Er tat es die ganze Zeit, wollte mich nun wohl alleine sprechen, traute sich aber nicht, dies in Gegenwart meiner Frau so deutlich zu sagen.
»Natürlich.«
Bettina nickte mir zu und sah uns dann zwischen dem Stand mit dem Nagelbalken und dem Verkauf von Original Heimathonig verschwinden.
»Sie werden sich gewundert haben, warum ich so lange geschwiegen habe.«
Ich hatte mich nicht gewundert, sondern fing jetzt erst damit an.
»Äh, eigentlich nicht.«
»Nicht schlimm, ich möchte es Ihnen trotzdem erklären. Die Geschichte Ihrer Messias ...«
»Herr Pfarrer, das ist nicht meine Geschichte«, log ich in Sichtweite der Kirche.
»Ich weiß, aber es
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