Neu-Erscheinung
Frau?«
»Meine Frau, wieso, was hat die denn damit zu tun?«
Die Frage machte mich nervös.
»Wegen ihrer beruflichen Vernetzung mit der Kirche.«
»Ach so, nee, nee, nicht wegen meiner Frau.«
Schlagartig stellte sich wieder Entspannung ein, und ich wurde mir stattdessen bewusst, dass mich innerhalb kürzester Zeit schon wieder ein Würden- bzw. Mandatsträger um Rat bat. Nicht schlecht für einen Lokalredakteur, der nebenbei einen Roman als Frau schrieb.
»Herr Litten, Sie sind ein Mensch, der davon lebt, Meinungen und Strömungen zu erkennen und zu beeinflussen, bevor sie sich manifestieren.«
Das klang gut, ich sah keinen Grund zu widersprechen.
»Ich kann mich auf Dauer nicht dem offiziellen Ansinnen des Vatikans widersetzen, was ich aber in diesem Fall aus tiefster Überzeugung tue.«
Pfarrer Nordermann war mir bislang nicht als klerikaler Grundsatzrevolutionär aufgefallen, deshalb verblüffte mich die Offenheit seiner Worte.
»In der Sache hat diese Messias ja recht, ihre Haltung ist an vielen Punkten maßlos überzogen, klischeetriefend und zuweilen regelrecht kitschig, wenn ich das mal so sagen darf, aber, und das meine ich ganz ehrlich, ich kann diese Frau verstehen.«
Jetzt galt es, nur nicht zu viel Interesse zu zeigen, was mir sehr schwerfiel. Ich schwieg und forderte dadurch Pfarrer Nordermann auf, weiterzumachen.
»Im Grunde ist alles, was sie fordert, im christlichen Sinne, das Recht auf Liebe und Gleichberechtigung hat schon Jesus gepredigt.«
»Im Grunde schon, ja ...«
»Und dass wir als Arbeitgeber nicht dazu beigetragen haben, die Emanzipationsbewegung auch von kirchlicher Seite zu beleben, tja, damit müssen wir wohl leben.«
»Müssen?«
»Wir sind ein Männerverein, ich sage Ihnen das ganz offen, was nicht heißt, dass ich darin nicht auch etwas Positives sehe, aber wenn es nach mir ginge, wären die Frauen auch im ...«
»Pfarrer Nordermann? Die Lotterie beginnt! Pfarrer Nordermann?«
Er wurde gesucht, denn die Lotterie war seit Jahren eng verknüpft mit einer kleinen launigen Rede unseres Pfarrers.
»Ich würde ihnen ja gerne helfen, Herr Pfarrer, aber ...«
»Sie haben mir geholfen, Sie haben mir sogar sehr geholfen.«
Was hatte ich? Nichts hatte ich. Ich hatte ihm zugehört, mehr nicht. Mehr nicht? Vielleicht war es genau das. Im übertragenen Sinne hatte ich ihm die Beichte abgenommen. Und in jedem Fall seine Meinung.
»Ach, noch was, Herr Litten, Sie wissen nicht zufällig, warum Dr.Mindis gekündigt hat?«
»Nein, keine Ahnung, tut mir leid.« Ich log und fühlte mich keineswegs wohl dabei.
»Wird schon seine Gründe haben, scheint aber niemand zu bedauern, dass er weg ist, hört man jedenfalls.«
»Pfarrer Nordermaaaann?«
»Ich muss los, und nochmal vielen Dank, Herr Litten.«
Bevor ich nachhaken konnte, was er damit konkret meinte, hatte ein Mitglied der Gemeinde Pfarrer Nordermann endlich erspäht.
»Er ist hier! Bei Herrn Litten!«
»Die Pflicht ruft«, seufzte Pfarrer Nordermann.
»Wir können uns gerne nochmal zusammensetzen«, bot ich dem gefragten Seelsorger an.
»Gerne, wenn die Zeit kommt.«
Die Zeit, welche Zeit? Pfarrer Nordermann drehte sich um und ging ungewöhnlich schnell in Richtung Lotteriebude, wo es die halbe Gemeinde nicht abwarten konnte, Plastikfußbälle, Taschenventilatoren und klappbare Polsterbürsten vom Autohaus Neumann zu gewinnen.
»Was wollte er von dir?«
Bettina stand mit einem Mal hinter mir und erwischte mich kalt.
»Nur quatschen.«
»Worüber?«
»Wenn ich das wüsste ... komm, wir holen uns auch ein Los!«
Kaum hatten wir uns dem allgemeinen Trubel wieder genähert, zog mich Bettina mit einem Mal so heftig am Hemd, dass ich mit dem Schlimmsten rechnete. Womit ich aus ihrer Sicht sogar recht hatte. Denn sie hatte am Waffelstand das für sie Schlimmste entdeckt: Lesnik.
»Der hat mir gerade noch gefehlt«, seufzte Bettina schlechtgelaunt.
Aber da winkte er uns auch schon zu sich. Besser gesagt winkte er Bettina zu sich. Ich war bestenfalls eine Art Beifang, ein Anhängsel, das man nicht ignorieren konnte, dem man aber auch nicht mehr als die zwingend nötige Beachtung schenken musste.
»Wir können auch woanders hingehen, wenn du willst«, schlug ich vor.
»Jetzt hat er uns ja gesehen.«
»Wenn er dir doof kommt, mach ich ihn platt.«
»Paul? So kenn ich dich ja gar nicht.«
»Das ist doch das Schöne an mir, immer was Neues!«
»Paul? Bist du das wirklich?«
Zugegeben, im Laufe unserer Ehe war ich
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