Neu-Erscheinung
ist doch eine Geschichte Ihrer Zeitung. Sei’s drum, diese Geschichte hat ja eine Menge Wirbel ausgelöst.«
»Ja, das kann man sagen.«
»Wirbel, den Sie zum Teil wahrscheinlich gar nicht mitbekommen haben.«
»Wie meinen Sie das?« Jetzt hatte er mein Interesse geweckt.
»Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Wir haben jetzt eine offizielle Stellungnahme und Handlungsanweisung zu diesem Thema bekommen.«
»Von wem?«
»Von ganz oben.«
Wenn ein Pfarrer von GANZ OBEN spricht, dann muss man nachfragen.
»Herr Pfarrer, was heißt: ganz oben?«
»Rom.«
»Der Vatikan?«
Pfarrer Nordermann nickte, als wollte er das Aussprechen eines verbotenen Namens vermeiden. Meine Neugier steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. In diesem Moment war eine kleine Idee aus Muenden zu einem internationalen Thema geworden. Und damit relevant. So relevant, dass selbst Ansgar, der auch in diesem Jahr dem Pfarrfest traditionell untreu blieb, Respekt gezollt hätte.
»Und was genau beinhaltet diese Handlungsanweisung?«
Pfarrer Nordermann schwieg für einen Moment, um mir nun wirklich ganz eindrücklich klarzumachen, wie schwer ihm seine Antwort fiel.
»Boykott.«
Das Wort war raus.
»Das ist nicht Ihr Ernst.«
»Aber der des Vatikans. Herr Litten, wir leben in einer schwierigen Zeit, wir müssen uns positionieren, und zwar so, dass wir auch nachhaltig präsent sind.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass die Kirche in Rom der Meinung ist, jeglicher Kritik an den Grundsätzen unseres Glaubens mit kategorischer Härte begegnen zu müssen.«
»Wir reden hier immer noch von einem Unterhaltungsroman in einer Tageszeitung, nicht vom neuen Kommunistischen Manifest.«
»Natürlich, aber die Tochter Gottes? Hmh? Das ist keine beliebige Romanfigur. Auch wenn sie, was ich zugeben muss, in nahezu allen Punkten den christlichen Geboten folgt.«
»Eben.«
»Es bleibt die Tabuverletzung.«
»Wer sagt das? Sie? Die Kirche? Der liebe Gott? Wäre die Tochter Gottes tatsächlich unter uns, dürfte man dann über sie schreiben?«
»Herr Litten, jetzt wird es hypothetisch.«
»Die Messias ist hypothetisch.«
»Der Blaubeerkuchen ist so was von lecker, Herr Pfarrer, der ist wirklich eine Sünde wert.«
Eine liturgische Tänzerin hatte sich unbemerkt mit ihren cremefarbenen Ballettschlappen an uns herangetänzelt.
»Stör ich?«
Ja, dachten Pfarrer Nordermann und ich synchron.
»Nein, ich werde natürlich auch gleich mal den Blaubeerkuchen probieren und der Herr Litten bestimmt auch.«
»Ich nehm mir sogar was mit nach Hause«, giggelte die Tänzerin und schwebte in Richtung Bermudadreieck davon.
»Herr Pfarrer, es fällt mir sehr schwer, zu glauben, was Sie mir da gerade erzählt haben.«
»Ja, und damit kommen wir zum Grund meines Schweigens.«
Er schaute mich an, als müsste ich den Grund nun wissen, und mit einem Mal war er mir klar.
»Sie haben die Anweisung missachtet?!«
Pfarrer Nordermann nickte, und irgendwie glaubte ich die Zeichen tiefster Schuld auf seiner Stirn zu sehen.
»Ja, das habe ich.«
»Sonst hätte ich längst von diesem Boykott erfahren.«
»In Detmold ist letzte Woche dazu aufgerufen worden, die Zeitung nicht mehr zu kaufen.«
»Das ist mir neu.«
»Kein Wunder, die Aktion war ja auch kein Erfolg. Im Gegenteil, mein Kollege wusste zu berichten, dass bereits zwei Tage nach seiner Predigt die Zahl der Abonnenten deutlich gestiegen ist. Aus reiner Neugier, vermute ich. Manchmal spricht man vom Teufel und verrät damit erst, dass es ihn überhaupt gibt. Nicht, dass ich jetzt an den Teufel glaube ...«
Ich lächelte.
»Und in Würzburg, Nürnberg und Aschaffenburg das Gleiche ... im Osten hatte mein Amtskollege ähnliche Bedenken wie ich und sich entschlossen zu schweigen.«
»Tja, was soll ich da jetzt sagen, ich bin natürlich einigermaßen entsetzt, dass meine ... ich meine, dass unsere Geschichte in meiner Zeitung solche Wellen schlägt, aber wenn Sie von mir erwarten, dass ich da nun eine Position beziehe, die der des Vatikans entspricht, bei aller Liebe, aber ... das kann ich nicht machen.«
»Herr Litten, Sie sind nicht das Problem, das Problem bin ich. Und deshalb würde ich gerne mit Ihnen darüber sprechen.«
»Ähm ... und warum?«
»Weil ich Ihren Rat brauche, den Rat eines Menschen, der sich diesem Thema ganz objektiv stellen kann.«
Ganz objektiv, Himmel.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich da der richtige Ansprechpartner bin, Herr Pfarrer.«
»Sie meinen wegen Ihrer
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