Neubeginn in Virgin River
Zwang an. Ich würde gern mal nach Chloe sehen. Ist Lilly im Haus?“
„Ja. In der Küche. Gehen Sie nur rein, die Tür ist offen.“ Und völlig hingerissen von dem Gefährt steckte er den Kopf auch schon durch die Fahrertür.
Mel ging ums Haus herum nach hinten. Durchs Küchenfenster konnte sie Lilly sehen, wie sie am Küchentisch saß. Die Tür stand offen, nur das Fliegengitter war geschlossen. Sie klopfte zweimal kurz, sagte „Hey Lilly“, machte die Fliegengittertür auf und blieb wie angewurzelt stehen.
Zu spät zog Lilly die Babydecke über ihren entblößten Busen. Sie hatte Chloe gestillt.
Mel war unfähig, sich von der Stelle zu rühren. „Lilly?“, fragte sie verwirrt.
Der Frau traten die Tränen in die Augen. „Mel“, sagte sie mit einer Stimme, die bloß noch ein Flüstern war. Sofort fing das Baby an zu wimmern. Lilly versuchte es zu beruhigen, aber Chloe war noch nicht fertig gestillt. Lillys Wangen färbten sich rot, und mit zitternden Händen fummelte sie an ihrem Hemd herum, wobei sie das Baby weiter festhielt.
„Wie ist das möglich?“, fragte Mel völlig entgeistert, denn Lillys jüngstes Kind war doch schon erwachsen, sie konnte unmöglich noch Milch in der Brust haben. Doch dann wurde ihr schlagartig klar, was los war. „Oh mein Gott!“ Chloe war Lillys Baby! Langsam ging Mel hinüber zum Küchentisch und zog sich einen Stuhl hervor. Sie musste sich dringend setzen, so sehr zitterten ihr die Knie. „Wissen alle in der Familie Bescheid?“
Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte Lilly den Kopf. „Nur Buck und ich“, stieß sie schließlich hervor. „Ich war einfach völlig neben der Reihe.“
Total perplex schüttelte auch Mel den Kopf. „Lilly. Wie um alles in der Welt konnte das geschehen?“
„Ich dachte doch, sie würden sie holen kommen – jemand von den Behörden. Und dass es dann jemand gäbe, der sie sofort nehmen würde. Irgendein nettes junges Paar, das selbst keine Kinder haben kann. Dann hätte sie junge Eltern gehabt und ich …“ Mitleiderregend ließ sie den Kopf hängen. „Ich hatte einfach geglaubt, dass ich es nicht noch einmal schaffen könnte“, schluchzte sie herzzerreißend.
Mel stand auf, ging zu ihr, nahm ihr das quäkende Baby ab und versuchte, es zu beruhigen. Lilly legte den Kopf auf die Tischplatte und weinte fürchterlich.
„Ich schäme mich so“, jammerte sie. Und wieder zu Mel aufblickend, erklärte sie: „Ich habe sechs Kinder großgezogen. Dreißig Jahre lang war ich damit beschäftigt, Kinder aufzuziehen, und wir haben doch sechs Enkel. Ich konnte mir das einfach nicht noch einmal vorstellen. So spät im Leben.“
„Gab es denn niemanden, mit dem Sie darüber hätten reden können?“, fragte Mel.
Sie schüttelte den Kopf. „Mel“, erklärte sie heulend, „auf dem Land geht das nicht, hätte ich mich irgendjemandem anvertraut, hätte es im Nu das ganze Dorf erfahren … Nein“, wiederholte sie und schüttelte heftig den Kopf. „Mir wurde schlecht, als ich gemerkt hatte, dass ich mit achtundvierzig noch einmal schwanger war. Es hat mich ganz krank gemacht, und ich wurde fast schon verrückt.“
„Haben Sie nie daran gedacht, die Schwangerschaft abzubrechen?“
„Schon, aber ich konnte es nicht. Etwas in mir sperrte sich total dagegen. Ich habe da keine Vorurteile, aber ich bin zu so etwas nicht fähig.“
„Und wenn Sie eine Adoption arrangiert hätten?“, hakte Mel nach.
„Keiner in meiner Familie und auch keiner hier im Dorf würde das je verstehen. Sie hätten mich angesehen, als ob ich mein Baby umgebracht hätte. Sogar meine Freundinnen –gute Frauen in meinem Alter, die zwar verstehen würden, wie ich mich dabei fühle, die es aber niemals akzeptiert hätten, wenn ich ihnen erzählt hätte, dass ich kein weiteres Kind mehr aufziehen wollte, mein eigenes Kind. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.“
„Was haben Sie jetzt vor?“, wollte Mel wissen.
„Ich weiß es nicht“, jammerte sie. „Ich weiß es einfach nicht.“
„Und was wäre, wenn die Leute vom Sozialamt kämen? Lilly, könnten Sie Chloe jetzt noch weggeben?“
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Oh Gott, ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit, alles noch einmal anders zu machen.“
„Lilly – wie haben Sie es geschafft, Ihre Schwangerschaft zu verheimlichen? Wie haben Sie die Geburt allein überstanden?“
„Niemand achtet besonders auf so etwas. Ich habe seit Langem Übergewicht. Buck hat
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