Neubeginn in Virgin River
kein harmloser Ort, und niemand weiß, was geschehen kann.“
„Sie gehen doch auch dorthin“, hielt sie ihm entgegen.
„Und ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen es nicht tun.“
„Hatten wir da etwa eine Vereinbarung? Dass ich auch Ihre nicht-medizinischen Anweisungen befolgen würde? Ich jedenfalls kann mich nicht daran erinnern, dass ich in meinem Privatleben verpflichtet wäre, alles zu tun, was Sie mir sagen.“
„Dann werden Sie in Ihrem Privatleben wohl auch kaum dazu verpflichtet sein, ihr Gehirn zu benutzen, nehme ich an.
„Ich habe Ihren Truck wieder aufgetankt, Sie alter Quälgeist.“
„Und mich hat man nicht in dieser blöden ausländischen Blechkiste erwischt, Sie kleines, stures Ding.“
Daraufhin musste sie so über ihn lachen, dass ihr die Tränen in die Augen traten und sie den ganzen Weg über, bis sie zu Hause war, nicht aufhören konnte zu lachen.
Es war ein schöner sonniger Nachmittag, als Mel zu Does Büro ging, kurz anklopfte und gleich darauf den Kopf reinsteckte. „Haben Sie eigentlich eine Ahnung, warum der Sozialdienst so lange braucht, um sich um Chloe zu kümmern?“, fragte sie ihn.
„Nicht die geringste“, antwortete er.
„Vielleicht sollte ich da einmal anrufen und nachhaken.“
„Ich habe doch gesagt, dass ich mich darum kümmern werde“, entgegnete er, ohne aufzusehen.
„Wissen Sie, es ist doch nur, weil ich an ihr hänge, obwohl ich es wirklich nicht beabsichtigt hatte. Es ist nun mal passiert. Und ich fände es schrecklich, wenn Lilly Anderson hinterher auch eine solche Trennung durchmachen muss. Das ist kein schönes Gefühl.“
„Sie hat eine ganze Schar von Kindern großgezogen. Sie kennt sich aus.“
„Das weiß ich ja, aber …“ Sie unterbrach sich, weil sie hörte, dass jemand die Eingangstür geöffnet hatte. Sie spähte vom Büro aus in den Flur. Mitten im Eingang stand Polly, die ihren Bauch mit den Händen nach oben presste und deren ansonsten rosiges Gesicht jetzt eher ein wenig blass wirkte. Und sie machte einen nervösen Eindruck. Gleich hinter ihr kam ein junger Mann herein, der beinahe denselben Overall trug wie sie und einen ziemlich abgenutzten Koffer trug. Mel drehte sich zu Doc um und sagte nur: „Showtime.“
Polly konnte nicht sagen, in welchem Abstand die Wehen einsetzten. „Es fühlt sich an wie eine einzige“, meinte sie. „Und meistens treten sie sehr weit unten auf.“
„In Ordnung, dann wollen wir mal nach oben gehen und uns vorbereiten.“
„Kann Darryl mitkommen?“
„Natürlich. Das wäre eine große Hilfe. Dann kann ich mich ganz auf Sie konzentrieren.“ Sie ergriff Pollys Hand. „Kommen Sie.“
Oben ließ sie Polly im Schaukelstuhl Platz nehmen, während sie auf eins der Betten einen Matratzenschoner legte und ihn mit einem sauberen Laken bezog. „Das war gutes Timing, Polly. Mein Ferienhaus ist zur selben Zeit fertig geworden, als auch meine kleine Patientin auf Lilly Andersons Ranch einen Platz gefunden hat. Ich bin auch schon komplett umgezogen, und deshalb könnt ihr, also Darryl, das Baby und du, das Zimmer hier ganz für euch haben.“ Mel fiel gar nicht auf, dass sie Polly duzte, und alles, was Polly dazu sagte, war: „Arrrgggghhh.“ Dabei krümmte sie sich und hielt sich den Bauch. Ein dumpfes, schwaches Geräusch folgte, und dann hörte man auch schon, wie das Fruchtwasser leise auf den Boden plätscherte.
„Oh, Polly“, schrie Darryl. Er wirkte plötzlich sehr ergriffen. Und verlegen.
„Nun“, sagte Mel, wobei sie über die Schulter blickte. „Das dürfte die Sache beschleunigen. Halt einfach durch, bis das Bett fertig ist und ich dir beim Umziehen helfen kann.“
Eine halbe Stunde später saß Polly auf mehreren Handtüchern in dem Krankenhausbett. Es war nicht gerade bequem, und das grüne Krankenhaushemd spannte ziemlich über ihrem dicken Bauch. Auch Mel hatte sich umgezogen und trug nun ihre OP-Kleidung und Turnschuhe, die sie für genau solche Ereignisse mitgebracht hatte. In L. A. wäre jetzt der Anästhesist schon unterwegs, um Polly zu untersuchen und die Epiduralanästhesie zu erörtern, aber hier waren sie auf dem Land, und da gab es keine Anästhesie. Gerade hatte Mel Polly untersucht, um festzustellen, wie weit der Muttermund bereits geöffnet war, als Doc hereinkam. Als er sah, wie blass Darryl geworden war, schlug er vor: „Junger Mann, wir zwei gehen jetzt einfach mal rüber auf die andere Straßenseite und trinken uns ein wenig Mut an.“
„Darryl, lass mich nicht
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