Neubeginn in Virgin River
waren. Lebensmittel wie ein Scheffel voll Nüsse, eingemachtes oder frisches Obst, Gemüse, Lamm- oder Kalbskeulen gingen dann gleich an Preacher, der immer eine gute Verwendung dafür hatte und Mel und Doc mit einem Teil davon wiederum verköstigte. In mancherlei Hinsicht ging es zu wie in einer Kommune.
Dennoch hatten Mel und Doc immer mehr Nahrungsmittel übrig, als sie brauchen konnten, vor allem da sie ihre Mahlzeiten meist bei Jack einnahmen. Daher packte Mel eines Tages eine Kiste mit Sachen, die drohten, bald schlecht zu werden: Eier, Brot, aufgeschnittener Schinken, ein Stück Käse, Kuchen, Äpfel und Nüsse. Und dann tat sie noch einen Karton Orangensaft, den sie bei Connie gekauft hatte, in die Kiste und stellte sie auf den Beifahrersitz von Docs Truck. „Könnte ich vielleicht Ihren Truck für zwei Stunden ausleihen? Ich möchte ein bisschen in der Gegend herumfahren und vertraue dem BMW nicht so ganz. Ich verspreche, ich werde wirklich vorsichtig damit umgehen.“
„Mein Truck? Ich kann Sie mir in meinem Truck gar nicht vorstellen“, sagte er zweifelnd.
„Wieso nicht? Ich werde ihn volltanken, wenn es das ist, was Ihnen Sorgen bereitet.“
„Ich habe Angst, dass Sie womöglich einen Abhang hinunterstürzen und ich hinterher zusehen kann, wie ich mit diesem Mist, den Sie Ihr Auto nennen, klarkomme.“
Sie spitzte den Mund. „An manchen Tagen sind Sie wirklich mehr, als ich ertragen kann.“
Er nahm die Schlüssel und warf sie ihr zu. Sie fing sie auf. „Geben Sie bloß Acht, dass meinem Truck nichts passiert, denn mich werden Sie in Ihrem ausländischen Gestell bestimmt nicht fahren sehen.“
Sie fuhr mit dem Truck aus dem Ort hinaus, und sobald sie sich unter den Bäumen auf der kurvenreichen Bergstraße befand, wo es erst immer weiter bergauf und dann immer weiter bergab ging, bekam sie allmählich doch Herzklopfen. Sie hatte schlicht und ergreifend Angst. Aber seit zwei Wochen hatte es sie nun schon verfolgt, und sie konnte mit dem Gefühl nicht länger leben. Und das hatte sie auf ihren Plan gebracht.
Sie war überrascht, dass sie sich noch daran erinnern konnte, wo sich Clifford Paulis‘ Camp befand. Sie fragte sich, ob sie etwa von einer übersinnlichen Kraft geleitet wurde, denn ihr Orientierungssinn war in Bergen oder unter Bäumen mehr als miserabel. Und doch, es dauerte gar nicht lange, und schon war sie an der Stelle, wo sie den alten, kaum sichtbaren Holzabfuhrweg wiedererkannte, der zu dem Camp führte. Kurz darauf fuhr sie in die Lichtung, machte einen großen Bogen, sodass sie in der Richtung zu stehen kam, in der sie gleich wieder wegfahren konnte. Sie stieg aus, stellte sich neben die Fahrertür und rief laut: „Clifford!“
Erst einmal erschien niemand. Aber dann, ein paar Augenblicke später, tauchte ein bärtiger Mann hinter einem der alten Pick-ups auf, der nun als Wohnwagen diente. Sie erkannte ihn als einen der Männer, den sie bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte. Sie krümmte den Zeigefinger in seine Richtung und lockte ihn zu sich heran. Langsam schlurfte er auf sie zu, und als er näher kam, griff sie in den Truck und zog die Kiste heraus. „Ich dachte, dass ihr Kerle das hier vielleicht brauchen könnt“, sagte sie. „In der Klinik wäre es vergammelt.“
Stumm sah er sie an.
„Nun machen Sie schon“, forderte sie ihn auf und hielt ihm die Kiste hin. „Da gibt’s keinen Haken. Es ist nichts weiter als Nachbarschaftshilfe.“
Scheinbar widerwillig nahm er die Kiste entgegen. Dann sah er hinein. Sie blendete ihn mit ihrem hübschesten Lächeln, und als er zurücklächelte, sahen seine Zähne einfach fürchterlich aus, aber sie ließ sich zu keiner Reaktion hinreißen. Schließlich war es ja nicht das erste Mal, dass sie Leute wie ihn zu sehen bekam. Früher jedoch hätte sie irgendein Amt angerufen, ihn weitergereicht, ihre Statistik bereinigt. Hier draußen war es anders.
Sie stieg wieder in den Truck, legte den Gang ein und fuhr langsam los. Im Rückspiegel sah sie, wie der Mann zu dem Wohnwagenwrack eilte und zwei weitere Kerle, die von hinten aufgetaucht waren, sich zu ihm gesellten. Nun hatte sich auch ihr Herz wieder beruhigt. Gut so.
Zurück im Dorf gab sie Doc, der in seinem beengten Büro am Schreibtisch saß, die Schlüssel wieder. „Sie glauben wohl, dass ich nicht weiß, was Sie getan haben“, fing er an. Herausfordernd reckte sie das Kinn. „Ich dachte doch, ich hätte Ihnen gesagt, dass Sie sich von dort fernhalten sollen. Es ist
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