Neue Leben: Roman (German Edition)
Vater geschenkt bekommen hat (ja, so jemanden gibt es jetzt wieder!). Der Baron beteuerte, sehr gern spielen zu wollen, aber doch bitte nicht Monopoly, das sei das fadeste Spiel, das es überhaupt gebe, und führe nur in die Irre. Wäre ein einziger Tag seines Geschäftslebens so stupide und langweilig wie Monopoly, er würde sich auf der Stelle etwas anderes suchen. Roberts vorgeschobene Unterlippe hätte auch ein steinernes Herz gerührt. Etwas anderes, so der Baron, spiele er jedoch herzlich gern. Ihm kam Roberts Wunsch offensichtlich gelegen. Er hatte zuvor ein paar Andeutungen gemacht, die seine, wie er es nennt, kultischen Nachforschungen betrafen. (Im Mai 45 ist die einzige Altenburger Reliquie, ein Handreliquiar des heiligen Bonifatius, verschwunden, wahrscheinlich im Gepäck amerikanischer Soldaten, als sie Altenburg räumten.) Barrista hält seine Aktivitäten für noch nicht reif, mitgeteilt zu werden. Dabei vertut er die Hälfte seiner Zeit in dieser Angelegenheit. 214
Geradezu euphorisch reagierte er, als ihm Robert den Karton mit dem Roulettespiel entgegenhielt. »Wo gibt’s denn so was?« Ob da auch drin sei, was draufstehe? Der Inhalt amüsierte ihn. »Mein guter Filz«, kicherte er, entrollte die Plasteunterlage mit den Kästchen und Feldern und strich mehrmals darüber. »Meinguter Samt!« Die Jetons versetzten ihn in Entzücken, der kleine Kessel mit dem Zahlenrad machte ihn regelrecht närrisch. »Für Liliputaner!«
In Null Komma nichts hatte er die Summe der Jetons errechnet und herausgefunden, wie viele von jeder Sorte vorhanden waren. Michaela räumte ab, kam jedoch nicht dazu, das Tischtuch zu wechseln. Der Baron hatte bereits alles arrangiert, die Jetons verteilt und drängte Michaela, sich endlich zu uns zu setzen, wobei er zwischen Französisch und Deutsch hin und her wechselte. »Spielen Sie, setzen Sie, Sie sind dran!« rief er und plazierte als erster einen Zehner auf der rechten Reihe und für das obere Drittel, kein sehr mutiger Beginn, wie ich fand. Ich wagte dreimal das Doppelte: auf Rot, Ungerade und der Null. Michaela säte die Hälfte ihrer Jetons quer über die Zahlenfelder, Robert schob einen Hunderter auf Schwarz. Erst als der Baron mit ausgestrecktem Arm und flacher Hand dicht über dem Feld ein Oval beschrieb und beschwörend »Rien ne va plus« flüsterte, merkten wir, daß die Kugel bereits kreiselte. Einen Augenblick später sprang sie hin und her, der Baron verkündete das Ergebnis auf französisch und ergänzte, was jeder sah: »Fünfzehn, Schwarz.« Mit dem Schieber harkte er über die wellige Plasteunterlage, Michaela und der Baron hatten alles verloren. Robert bekam einen Hunderter dazu, ich zwanzig, verlor aber vierzig. Barrista lächelte und verdoppelte nun seinen Einsatz. Mich befiel bereits in der zweiten Runde Langeweile, die ich auch in der Großzügigkeit, mit der Michaela den Rest ihrer Jetons verstreute, zu erkennen glaubte. Robert wagte wieder hundert, diesmal auf Rot, ich spielte wie zuvor, schob nur statt auf Null einen Zwanziger neben Roberts Hunderter. Barristas beschwörende Armbewegung wiederholte sich, die Kugel klackerte – Elf, Rot. Ein Finger des Barons senkte sich auf die Elf, was Michaela wieder die Höhe ihres Startkapitals einbrachte.
Bald aber hatte Michaela als erste alles verspielt, was offenbar ihre Absicht gewesen war. Robert folgte mit unglaublichem Glück dem Lauf der Kugel. Der Baron verdoppelte nach jedem Verlust den Betrag, wagte vierzig, achtzig, hundertsechzig – und gewann schließlich. Seine Beharrlichkeit hatte sich ausgezahlt.
Doch aus freudigem Enthusiasmus war verkniffener Ernst geworden. Er unterhielt sich nicht mehr, antwortete auf keine Frage, starrte nur auf das Spielfeld und warf hastig die Kugel. Er arbeitete wie eine Maschine. Robert hingegen war der eigentliche Spieler und Held. Er verlor ebensoviel, wie er gewann, sein Guthaben aus den ersten Runden jedoch blieb ihm erhalten. Ich erhöhte meine Einsätze, weil mir das ewige Hin und Her zu öde wurde – und war als nächster bankrott. Der Baron verdoppelte weiterhin so lange, bis er gewann. So unaufmerksam, ja geradezu unhöflich hatte ich ihn nie zuvor erlebt. Ihm fiel nicht mal auf, daß nur noch wir Männer dasaßen und Michaela in der Küche abwusch.
Erst als er sagte: »Jetzt steige ich aus«, sich zurücklehnte und uns seine Jetons präsentierte, tauchte er unter dem Eis hervor. »Haben Sie gesehen?« fragte er, nun endgültig wieder lebendig geworden,
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