Neue Leben: Roman (German Edition)
und fügte mit kindlichem Stolz hinzu. »Am Ende habe immer ich gewonnen.«
»Pech in der Liebe, Glück im Spiel«, sagte ich. Der Baron sah mich so durchdringend an, daß ich mich schon für meine Taktlosigkeit entschuldigen wollte.
»Nein«, sagte er und lächelte. »Wahrscheinlichkeit! Maximale Wahrscheinlichkeit! Zufall ist nur eine Frage des Rahmens, des abgesteckten Umfeldes, natürlich auch eine der Zeit. Je mehr Geld Sie aber haben, um so weniger kann Ihnen der Zufall da hineinpfuschen. Wie im richtigen Leben!«
Er kenne alle Spielhöllen zwischen Wiesbaden und Las Vegas. Es gehe nur vordergründig um Gewinn und Verlust oder um dieFrage, ob man ein rettungsloser Spieler oder ein braver Mann sei. Es gehe um mehr, um viel mehr, vielleicht sogar um alles. Er habe erfahren, was es bedeute, sich mit Haut und Haar dem Schicksal zu ergeben, sich auszuliefern und zu warten, ob es einen berührt. Statt eines Apfels hätte Eva ihrem Mann lieber eine Handvoll Jetons anbieten sollen.
Ich bekannte, das Spiel nicht gerade als schicksalhaft empfunden zu haben.
Ich solle mich nicht lächerlich machen, das hier sei weniger als Kinderkram, das sei nichts, gar nichts, was ich denn erwartete. Mich befremdete, ja erschreckte die Heftigkeit, mit der er seine Hand unter die Plasteunterlage geschoben und diese von sich geworfen hatte. Sie schlappte zur Tischmitte, fiel zurück und hing vor ihm über die Tischkante herab. Ein paar Jetons fielen zu Boden, was ihn in Rage brachte. Mit Daumen und Zeigefinger faßte er die Plasteunterlage und hielt sie angewidert hoch, als handelte es sich um das dreckige Taschentuch eines Widersachers.
Das sei kein Vorwurf, sagte er, schon wieder milder gestimmt, als wir mit den aufgelesenen Jetons unterm Tisch hervorkamen. Doch dieses Spiel sei ihm etwas nahezu Heiliges, ein Ritual, ja, ja, ein Reinigungs- und Opferritual, das meine er ernst. Er wiederholte es wörtlich gegenüber Michaela, die hereingekommen war, weil sie, wie sie später sagte, Streit vermutet hatte.
Ich solle, bemerkte er dann mit auffälliger Beiläufigkeit, erst einmal das wirkliche Spiel kennenlernen. Und wenn er sage, das wirkliche, dann meine er es auch, ein Wochenende in Monte Carlo, was ich davon hielte, er würde sich um alles kümmern. »Sind Sie einverstanden?«
»Monte Carlo ist nicht so weit weg, wie Sie denken«, sagte er. Neben der schönen Lektion, die ich dabei lernen könnte, würde sich als angenehmer Nebeneffekt die Aufbesserung meiner Privatschatulleeinstellen, denn beim ersten Mal, noch dazu, wenn ich seine Vorgaben befolgte – »es gibt überall Regeln und Gesetze« –, werde ich immer gewinnen, ja, immer! Wir sollten bloß einmal überlegen, warum die Spielbanken Höchstgrenzen für Einsätze festlegten. Dies sei der Schlüssel zum Verständnis. Darüber lohne es nachzudenken.
Schon vor Wochen hat der Baron eine Andeutung in diese Richtung gemacht, aber ich hielt es für Gerede. Offensichtlich aber gibt es bei ihm kein Gerede.
Sei umarmt von Deinem Enrico
PS : Nur eine Frage: Anton Larschen will bei allem Verständnis für unsere Lage mit seinen Memoiren nicht länger warten und benimmt sich wie ein bockiges Kind. Jörg und ich haben sie gelesen, wollen den Text auch veröffentlichen, aber da wartet noch viel Arbeit auf einen Lektor. Darf ich ihn Dir schicken? Du würdest natürlich dafür bezahlt, firmiertest als Herausgeber, und ein Vorwort oder Nachwort wäre hochwillkommen.
Dienstag, 8. 5. 90
Liebe Nicoletta!
Es ist nicht nur das Frühlingswetter, das es mir schwermacht, meinen Bericht fortzusetzen und Ihnen etwas über jenen Dezember zu erzählen, der der endgültigen Trennung von Nadja und mir Ende November folgte.
Zurück in Jena, fühlte ich mich, statt erleichtert zu sein, gelähmt und einsam. Von Vera hatte ich seit März kaum mehr gehört, die Briefe, die Johann und ich in diesem Jahr gewechselthatten, ließen sich an einer Hand abzählen. Ich hatte ihm nicht mal richtig zur Geburt seiner Tochter Gesine gratuliert.
Am Montag verschlief ich das lateinische Übersetzungsseminar, versuchte mich vergeblich fürs Griechische am Abend zu präparieren – schlug ich ein Wort nach, hatte ich es beim Blick in den Text bereits wieder vergessen –, wachte am Dienstag erst mittags auf und schaffte es kaum zur Toilette. Wenigstens kam ich auf die Idee, mich krank zu melden.
Unser Sprachlehrer, ein begnadeter Horaz-Übersetzer 215 , gab zu verstehen, daß er mir trotz
Weitere Kostenlose Bücher