Neue Leben: Roman (German Edition)
die Irrungen und Wirrungen der Provinz studieren willst, also eine Arbeit brauchst und ein Einkommen, sollten wir darüber reden. 210 Als Schreiberbekommst Du hier zweitausend netto, das heißt ab Juli zweitausend D-Mark, und eine ordentliche Behausung werden wir für Dich (oder Euch?) auch finden. Neue Leute brauchen wir so oder so. Die Frage ist nur, wann die Entscheidung fällt. In Gera könnten wir schon morgen drucken. Das wäre um ein Drittel billiger, bei besserem Papier und gestochen scharfen Photos. Der Umfang ließe sich in Vierersprüngen 211 variieren – wir hätten kein Limit für die Werbung, noch müßten wir fertige Seiten einreißen oder Artikel verschieben, paradiesische Zustände! Wenn wir nur den Computer beherrschten! Andy hat achtzehntausend für alles verlangt, inklusive der Programme. Wir werden sein Renommierobjekt und schenken ihm ein paar Anzeigen! Das Geld für die Klebemaschine und die Leuchttische bekommt er im Juli. (Auch wenn ich glaube, daß wir ganz gut über den 1. Juli kommen werden, stelle ich mir jetzt doch manchmal vor, wir hätten die Zwanzigtausend damals in Ost-Geld umgetauscht, dann könnten daraus nun bald sechzig- oder siebzigtausend D-Mark werden, vielleicht noch mehr. 212 )
Die LVZ ist ein trauriger Verein. Keiner von denen hielt es für nötig, am Sonntag in den »Auerhahn« zu kommen, in dem alle »Spitzenleute« zusammensaßen, bis auf die PDS natürlich, undauf die Auszählung warteten. 213 Uns empfingen sie wie Könige, weil sie wissen, daß wir wissen, daß sie allesamt nicht gerade die Speerspitze der Revolution gewesen sind. Für Jörg ist das ein Dauerthema. Er hat Karmeka, den neuen Bürgermeister, Ende Dezember, da ihn noch niemand kannte, als Leiter des Runden Tisches vorgeschlagen, womit Karmekas Aufstieg begann. Jörg verspricht sich von den Kontakten zu seinem »Zögling«, wie er ihn etwas zu oft nennt, wohl zuviel, nachteilig aber ist diese Verbindung sicherlich nicht. Der neue Landrat (klingt das nicht irgendwie nach Junker und Kaiser?) steht noch nicht fest, aber er wird ebenfalls von der CDU sein. Wenn wir Glück haben, trifft es einen Kumpel von Fred. Selbst heute, nach drei Tagen, noch immer keine Zeile in der LVZ ! Wir haben Karmeka groß auf der ersten Seite, mit Interview und Photo. Und auch die anderen Ergebnisse werden die Altenburger zuerst von uns erfahren. Kein Wunder, wenn Leute wie der Chef vom Dienst glauben, hier leichtes Spiel zu haben.
Am Sonntag sprach ich lange mit Marion und Jörg. Ich erzählte ihnen von Barristas Stadtplänen, den Werbegeschenken und der »Akquisiteursbrigade«. Den Computer hat er uns ja im wahrsten Sinne des Wortes ins Haus tragen müssen!
Nach zwei Stunden hatte ich Marion wenigstens so weit, daß sie einem Beratervertrag für Barrista zustimmte. Ich hatte tausend pro Monat vorgeschlagen, was immer noch lächerlich wenig gewesen wäre. Die nun bewilligten fünfhundert sind nicht mehr als eine an Peinlichkeit grenzende Geste.
Als wir ihm unsere Offerte antrugen, dankte er, zeigte sich jedoch eher überrascht als erfreut. Was wir denn von ihm erwarteten? Jörg wollte mit ihm seine eigenen Ideen prüfen, Marion sprach von Arbeitsorganisation, und ich sagte, er solle mit unsgemeinsam die Akquisiteure auswählen und schulen und einen Blick auf unsere Buchhaltung werfen, denn davon verstehe hier niemand etwas.
Der Baron hörte uns eine Weile an, erhob sich dann recht plötzlich und trat hinter seinen Stuhl, als wäre der ein Katheder. »Darf ich behaupten«, sagte er matt mit schweren Lidern, »daß Sie sich offensichtlich die grundlegende Frage, die am Beginn jeder wirtschaftlichen Tätigkeit geklärt sein sollte, noch nicht beantwortet, ja nicht einmal gestellt haben?« Barrista straffte sich und holte tief Luft. »Wollen Sie reich werden oder nicht?« Er sah von einem zum anderen und fügte hinzu: »Ich bewundere jeden, der sich dagegen entscheidet. Das verdient höchsten Respekt. Ich muß nur wissen, auf welchem Terrain wir einander begegnen wollen.« Unerwartet barsch unterbrach er mich, als ich auflachte.
»Das ist ernster, als Sie denken! Nehmen Sie sich Zeit! Wählen Sie nicht voreilig! Es impliziert sehr viel mehr, als Sie vielleicht erwarten!« Wenn sich Barrista aufregt, hört man seinen Akzent. Er setzte sich wieder und versprach, egal zu welchem Ergebnis wir kämen, dürften wir auf seinen Rat zählen, er müsse nur wissen, wohin wir unser Schiff steuern wollten. Dann richteten sich seine Gläser
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