Neue Leben: Roman (German Edition)
das erste, was Michaela mirins Ohr flüsterte. Sie bat mich zu warten, ging in die Kantine und kehrte mit dem Schlüssel für den Wartburg zurück. Er gehörte ihr, eigentlich ihrer Mutter, aber die hatte auch keine Fahrerlaubnis.
An diesem Abend brachte ich Michaela zum ersten Mal nach Hause. In Roberts Zimmer brannte Licht. Sie rief mir noch zu, wann ich sie am nächsten Tag abholen sollte, und rannte los. Ihre Absätze hallten in dem Neubau-Hufeisen, was mich aus irgendeinem Grund mit Stolz erfüllte. Ich stand in der offenen Fahrertür, einen Ellbogen aufs Dach gestützt, als hätte ich den Hauptpreis einer Tombola gewonnen.
Am nächsten Morgen fragte sie, ob ich denn überhaupt frei sei, ob mir der Unterschied von sieben Jahren (das hatte sie irgendwie herausbekommen) etwas ausmache und ob mir klar sei, daß sie immer Rücksicht auf Robert nehmen müsse. Bevor ich antworten konnte, küßte sie mich, und dann klopfte Max an die Heckscheibe.
Nach der Probe wartete ich am Auto auf Michaela. Als sie endlich erschien, sah sie aus, als wollte sie mit mir ausgehen. Sie sagte, daß ich heute genau das Hemd trage, in dem sie mich am liebsten sehe. Ich ließ den Wagen an, sie schob mir ihre linke Hand unter den Kragen, ich fuhr los, und beide starrten wir nach vorn, als wäre dichter Nebel.
Wir huschten an der Rezeption vorbei, ich hatte den Zimmerschlüssel extra nicht abgegeben. Sie sei sich schon wie eine Hochstaplerin vorgekommen, sagte Michaela im Fahrstuhl, weil sie die ganze Zeit über die Pille genommen habe. Robert sei heute nicht vor halb fünf zu Hause, wir hätten also ein bißchen Zeit. Aus ihrer Handtasche nahm sie einen Wecker und stellte ihn.
Im Zimmer zog Michaela die Vorhänge vor und ließ die Rollos herunter. Mir entwand sie sich, als ich ihre Bluse öffnen wollte. Sie erlaubte mir nicht einmal, ihr beim Entkleiden zuzuschauen,und rief mich erst aus dem Bad, als sie bis zum Hals zugedeckt im Bett lag. Zuerst hielt ich das für ein Spiel, aber Michaela hatte in allem sehr klare Vorstellungen, was ich durfte und was nicht.
Vor Beginn der Abendprobe sagte Flieder, er habe umdisponiert, er brauche nur Max und die Petrescu. Michaela und ich fuhren ins Hotel, und wieder wartete ich im Bad, bis sie mich rief. Ich fragte sie, warum sie sich vor mir schäme. Das werde ich schon noch erfahren – oder auch nicht, sagte Michaela und hielt mir den Mund zu, als ich weiterfragen wollte.
Später waren wir eingeschlafen und erst nach zwölf erwacht. Michaela konnte sich vor lauter Panik kaum anziehen, bestand aber darauf, daß ich mich zur Wand drehte.
In Roberts Zimmer brannte Licht. Ich wartete und horchte wieder auf das Echo von Michaelas Schritten.
In den Tagen bis Semesterbeginn sahen wir uns nur auf den Proben. Jetzt war es wieder Max, der sie ins Theater fuhr und nach Hause brachte.
Einige Wochen später verriet mir Michaela den Grund ihres befremdlichen Rituals. »Es hängt mit Robert zusammen«, sagte sie, »mit seiner Geburt.« Ich verstand nicht. »Ein Kaiserschnitt«, sagte sie und sah mich beinah ängstlich an, um mich dann anzufahren: »Ich hab da eine Narbe, groß und häßlich!« Ich sagte, daß das nichts Neues für mich sei, und begriff den Zusammenhang erst in diesem Moment.
»Das muß ja nicht gleich jeder sehen!« rief sie ungehalten.
Sie werden fragen, warum ich Ihnen all das erzähle? Was hat diese Liebesgeschichte mit meiner Beichte zu tun? 245 Haben Sie Geduld.
Robert kämpfte gegen mich. Zudem haßte er alles, was vom Theater kam. Und ich mußte mir eingestehen, daß Robert mich störte. Ich war es nicht gewohnt, Rücksichten zu nehmen. Ich wollte lesen, schreiben, ins Theater und in Ausstellungen gehen, Filme sehen. Und Michaela wollte das auch. Aber ich greife vor. In den ersten Wochen war allein schon der Gedanke abwegig, ich könnte in Michaelas Wohnung übernachten. Für diesen Fall hatte Robert angedroht, von zu Hause wegzulaufen. Als ich das erste Mal offiziell zu Besuch erschien, schloß er sich in seinem Zimmer ein und heulte so laut, daß Michaela mich nach zehn Minuten bat, wieder zu gehen. Manchmal fuhr ich nach Altenburg, um Michaela für eine halbe Stunde zu sehen. Und auch dann drehte sich alles nur um Robert.
Zum ersten Mal blieb ich Ende November über Nacht, und das nur, weil Robert meine Schuhe aus dem Fenster geworfen hatte und diese nun auf der Heizung trocknen mußten.
Doch Robert war nicht nur ein Störenfried, ich empfand ihn auch als ein Makel an
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