Neue Leben: Roman (German Edition)
gesetzt, ein Autohaus speziell für Geländewagen zu gründen, was es in dieser Art bisher nirgendwo gibt. Selbst wenn ich nach Mitternacht nach Hause fahre – in Cornelias Reisebüro brennt immer noch Licht. Buchen kann man bei ihr jetzt schon, bezahlen muß man erst im Juli. Die Leute stehen von morgens bis abends davor Schlange. Ihr Mann Massimo will eine Apotheke in der Poliklinik einrichten. Deshalb pendelt er zwei- oder dreimal pro Woche zwischen Fulda und Altenburg hin und her.Recklewitz-Münzner rekrutiert hier Partner, gibt Fortbildungen und kauft in eigenem und fremdem Auftrag ein Grundstück nach dem anderen. Gemeinsam mit seinem Freund Nelson baldowern sie Standorte für Tankstellen aus. Olimpia, Andys Braut, recherchiert für jüdische Organisationen im Katasteramt und spricht alle Sprachen der Welt. Und Proharsky, der Ukrainer, treibt für die ganze Familie, also auch für uns, die Schulden ein. Muß ich überhaupt erwähnen, daß die Fäden bei Fürst & Fürst Immobilien zusammenlaufen?
Dem Baron überreichte ich meine Kalkulation für das Anzeigenblatt in der Erwartung, er werde sie belächeln. Er warf einen kurzen Blick darauf, nannte sie perfekt, gab sie mir zurück, fragte mich, während er seine Collegemappe durchsuchte, was ich von der Vereinigung des Jemen halte 294 , wovon ich weder gehört hatte noch wußte, was diese Frage jetzt sollte, und zog seine eigene Kalkulation hervor, die, wie er meinte, zu einem ähnlichen Ergebnis gelange. Der einzige Posten, den ich vergessen hatte, waren Zinsen für Kredite und die Miete.
Der Baron lud mich ein, ihn zu Dr. Karmeka, dem neuen Bürgermeister, zu begleiten, das würde garantiert interessant, denn er wolle ihm ein Angebot unterbreiten, bei dem ich das Verhalten des Bürgermeisters beobachten solle, ein Angebot, das für die Zukunft der Stadt entscheidend sein könne.
Karmeka, der, eigentlich Zahnarzt, wegen seines maroden Rückens in die Politik gewechselt ist, hat in der Stadtverwaltung alle entlassen, die er entlassen konnte. Nur sein »Vorzimmer« hat überlebt. Neben zwei Sekretärinnen gibt es da einen Privatadlatus, Herrn Fliegner, ein bleicher schmaler Jüngling, der auf demSchreibtisch Karmekas irgendwelche Papiere ordnete und nicht einmal aufsah, als wir eintraten.
Karmeka, das ist allgemein bekannt, empfängt jeden Besucher, indem er, kaum daß man Platz genommen hat, eine Zigarette aus der Schachtel zieht – er raucht alte »Juwel« –, um sie samt Feuerzeug hochzuhalten und zu fragen: »Stört Sie das?«
Statt zu antworten, überreichte der Baron ihm ein glänzendes braunes Lederetui. »Eine kleine Aufmerksamkeit.« Karmeka (man muß es auf der ersten Silbe betonen) erstarrte, legte sein Spielzeug beiseite, bediente sich und zog schnüffelnd die Zigarre unter seiner Nase entlang. Wenn wir erlaubten, meinte er und schob das Etui wieder zu Barrista hinüber, würde er diese Kostbarkeit heute abend in Ruhe und mit Verstand rauchen, im Dienst sei das schlecht möglich, denn obwohl unsere Anwesenheit höchst willkommen sei und im eigentlichen Sinne nicht als Arbeit gewertet werden dürfe … und schon sog er an seiner Zigarette und vergaß darüber, den Satz zu beenden.
Der Baron stimmte eine Klage über die Flut von Bittschriften an, die mit der Ankündigung des Besuches Seiner Hoheit eingesetzt habe. Notgedrungen müsse er viel Zeit darauf verwenden, das könne man ja nicht dem Erbprinzen überlassen. In dieser Art und Weise lamentierte er weiter. Die beiden senkrechten Falten, die jeweils in der Mitte von Karmekas Wangen begannen und an den Mundwinkeln vorbei bis zu seinem Unterkiefer führten, zuckten hin und wieder.
Es gehe nämlich so weit, rief der Baron, daß unsere geschätzten Freunde vom »Altenburger Wochenblatt« regelrecht erpreßt würden, die Adresse Seiner Hoheit zu veröffentlichen. Er erwähne diesen Ärger nur, damit das, worauf wir uns bei dem Besuch gefaßt machen müßten, recht plastisch ins Bild rücke.
Die Gesten Karmekas, mit denen er auf Barristas Gerede reagierte, wurden immer verhaltener und erlahmten zusehends.Zaghaft streckte er beide Arme aus, um den Ablaufplan des Besuches – ein Vorschlag, nur ein Vorschlag – in einer Mappe aus demselben edlen Leder wie das Zigarrenetui entgegenzunehmen. Und justament da, als seine Fingerkuppen das Leder schon berührten, überfiel ihn ein Husten, ein Hustenanfall, bei dem er die Arme anwinkelte und sich wie unter Schlägen krümmte, zur Seite drehte und
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