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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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versammelt sind, trotzen den internationalen Konzernen! In einer Nußschale ziehen Sie gegen eine ganze Armada zu Felde. Ob Sie es wollen oder nicht, aber Sie verteidigen damit etwas, was diese Welt lebenswert macht!«
    Der Baron hielt die Blicke in seinem Bann wie ein Zauberer. Und wenn doch einmal ein Augenpaar abirrte und sich im Zimmer verlor, dann nur um sich zu vergewissern, daß das alles kein Traum war.
    In naher Zukunft wird das Unternehmen wachsen müssen. Wir werden neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen. Doch jeder von uns hat das Glück, von Anfang an dabeizusein, und jeder von uns wird bald eine kleinere oder größere Abteilung leiten. Das ist enorm viel Verantwortung. Denn wenn einer versagt, werden das alle zu spüren bekommen. 328 Mich ermahnte er, hart und unnachsichtig gegenüber Schlamperei zu sein und keine Ausnahmen zu dulden, das Steuerrad immer fest in Händen.
    Erst als wir aufbrachen, dachte ich wieder an den Alten. Er hat auf den Holzdielen ein paar Blutflecken hinterlassen. Deshalb machte jeder von uns einen großen Schritt, fast so, als läge er noch immer dort.
    Sei umarmt
    Dein Enrico
     
    Lieber Jo, ich vergaß heute früh, den Brief mitzunehmen. Schon jetzt kann ich Vollzug melden: Die Verhältnisse sind geklärt. Wir hatten einen Termin beim Notar. Ich saß Jörg und Michaela, die den Baron vertritt, gegenüber.
    Mit Jörg kann ich ja reden. Wenn nur Marion nicht wäre! So wie sich Dreck immer an derselben Stelle sammelt, finde ich in ihren Augen jeden Morgen neuen Haß. […] Außerdem ist sie zu einem Zwirnsfaden abgemagert. Nur noch der Gürtel hält ihre Hose. Mich behandelt sie wie Luft, wenn ich ihr nicht ausweiche, rempelt sie mich an. Ließe ich mich von ihr provozieren, gäbe es hier täglich ein Handgemenge. Neuerdings behauptet sie, ich schriebe allein deshalb Artikel, um möglichst viel Platz zu blockieren, damit das Wesentliche nicht erscheinen kann. Das Wesentliche sind meine »Umtriebe«, mein schändliches Verhalten. Marion hat sogar eine Theorie entwickelt, der zufolge Journalisten gewählt werden sollten.
    Wie schnell sich das Blatt gewendet hat! Nun könnt Ihr ganz beruhigt Euren Umzug nach Altenburg planen.
    Sei umarmt, Dein Enrico

 
     
    [Mittwoch, 20. 6. 90]
     
    Verotschka, ich habe es schon hundertmal probiert, ich erreiche Dich nicht! Wo steckst Du?
    Wir müssen uns keine Vorwürfe machen. 329 Nicht wegen Michaela. Ich hatte es schon immer geahnt, aber jetzt weiß ich es sicher. Die Sache mit Barrista war kein Zufall. Michaela hat es geplant, kaltblütig geplant.
    Nein, ich bilde mir das nicht bloß ein. Es geht um die Fehlgeburt. Es war alles so unwirklich, in der Welt, aus der Welt. Ich hatte es nicht vergessen, natürlich nicht, aber darüber reden?
    Heute war ich bei Michaela, ich mußte Barrista sprechen (seine dämliche Rolex-Idee erweist sich als Fluch!), ich dachte, er sei zu Hause. Michaela hörte die Klingel nicht. Ich klopfte gegen die Scheibe meines alten Zimmers. Das ist jetzt ihr »Studio«, ein »Sportstudio«!
    Wie sie da vor mir stand, nur in Unterwäsche, völlig verschwitzt, und etwas von »zwei Kilo weniger« erzählte, von »zwei Kilo weniger in vier Tagen!«. Ich mußte mir anschauen, wie sie in roten Turnschuhen auf einem Förderband rannte, Hanteln in den Händen. »Noch fünfhundert Meter«, keuchte sie.
    Ich wartete in der Küche. Wie schnell alles fremd wird! Unmengen an Zwieback, Knäckebrot und H-Milch. Die Kühltruhe bemerkte ich erst nicht. Neben ihrem strahlenden Weiß wirkte alles andere schäbig.
    Michaela klatschte sich auf den Bauch und sagte, sie ziehe ihn nicht ein, der Speck sei weg, das müsse ich zugeben. Sie sprach von Willenskraft und wieviel man damit erreichen könne, allein mit täglichem Training. Sie redete immer wieder von ihrem Bauch, während sie halbnackt herumhantierte. Und da sagte ich: »Eigentlich traurig, daß dein Bauch so flach ist.« Verotschka, versteh mich nicht falsch, Du und ich, wir hätten ja das Kind nehmen können, ich hätte es gewollt. Zuerst dachte ich, Michaela kapiere die Anspielung nicht oder wolle mich nicht verstehen. Dann aber sah sie mich an und nannte mich einen Träumer und Egoisten und noch einiges mehr. Plötzlich sagte sie: »Du glaubst aber auch alles« – und erschrak über die eigenen Worte. Ich fragte, was sie damit meine. Sie schwieg. So schnell fiel selbst ihr keine Ausrede ein. DU GLAUBST ABER AUCH ALLES !
    Damals, im Krankenhaus, hatte ich die

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