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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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Schorba oder ihr Mann, der den Vertrieb organisiert, oder Evi und Mona, unsere Elevinnen am Computer, selbst der geschlagene Pringel – wir alle bewegen uns nicht nur rascher, zielgerichteter, geradezu begierig, gleich das nächste zu erledigen, wir sind auch freundlicher, offener, wir haben nichts zu verbergen, nichts zu verlieren! So wie jetzt sollte der Alltag immer sein. Ja, so soll es bleiben!
    Offiziell arbeitet Herr Schorba noch bei der Wismut. Er ist aber freigestellt und wartet auf seine Kündigung samt Abfindung. Als Bergbauingenieur weiß er zu organisieren. Ich genieße es, wenn jemand die Dinge mit Verstand und Umsicht angeht. Er hat eine ganze Wand mit Landkarten tapeziert. Seiner Berechnung zufolge werden wir 120 000 Exemplare drucken. Schorba verteilt klare Aufgaben und kontrolliert akribisch. Als ich Kurt fragte, wie er sich das ab Juli vorstelle, sagte er: »Na, mit euch.« Fred hingegen ist völlig überfordert. Täglich, fast stündlich muß er sein Vertriebsnetz flicken, weil Verkaufsstellen schließen oder immer weniger Exemplare absetzen, so daß die Fahrt nicht mehr lohnt.
    Zudem kalkulieren wir mit zehn- oder hundertmal größeren Beträgen. Im Vergleich zu uns spielen Jörg und Marion nur Kaufmannsladen. Jo, mein Lieber, jetzt beginnt ein neues Leben! Unsere Artikel haben, wenn überhaupt, ab und an ein bißchen Staub aufgewirbelt, der sich jedoch schnell wieder legte. Jetztaber bringen wir wirklich etwas in Schwung. Unsere Anzeigen sind der Motor. Wir selbst verändern die Welt. Denk nur an unser Verlagshaus, an die Passage, die wir von hier auf den Markt bauen lassen. Vor allem aber: Wer außer uns schafft das – kostenlos und in jeden Haushalt?! Jörg ähnelt jenem Unglücksraben am Roulettetisch, der die Zahlen studiert und analysiert, aber wenn er setzt, verliert er. Wir jedoch machen das Spiel. Denn wir haben die Wahrscheinlichkeit und die Zeit auf unserer Seite. Und je mehr Geld wir haben, desto weniger kann uns der Zufall reinpfuschen. Jörg soll nur schön weiterstudieren und analysieren und darüber schreiben, während wir schon wieder ein neues Spiel machen, das er dann wieder studieren und analysieren kann. Es ist ein Glück, mit klarem Bewußtsein 326 noch einmal anfangen zu können.
    Der Wunsch des Barons, nach all dem Aufruhr und Durcheinander unser Projekt erneut von A bis Z abzuklopfen, war mir nur recht. Denn der rote Faden droht im Wirrwarr aller gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben verlorenzugehen. Ich hatte an ein Abendessen gedacht, er sah mich jedoch als einen Referenten im nüchternen Interieur unserer Redaktion. Plötzlich wußte ich, was zu tun war: Jede und jeder in der Redaktion mußten eine Rolle und einen Auftritt bekommen. Und ich war der Regisseur.
    Vier Tage lang habe ich kaum etwas anderes gemacht, als mit ihnen zu reden. Nichts soll fraglos hingenommen werden!
    Fred und Ilona, zuerst froh, von »solchen Mätzchen« verschont zu bleiben, fühlen sich bereits vernachlässigt. Ilona schielt wie eine Elster, wenn ich Frau Schorba etwas gebe. Außerdem treibt sie die »Rolex-Affäre« fast in den Wahnsinn. Die Leute kommen in die Redaktion und knallen ihr die »Scheißuhr« auf den Tisch, entweder geht die Uhr nicht mehr, oder die neuenAbonnenten haben herausgefunden, daß es keine echte Rolex ist. Manche weigern sich zu gehen, bevor sie nicht ihr Geld wiederbekommen haben. Ilonas Erklärungen, daß in der Anzeige nichts von Rolex gestanden habe, sondern nur »Diese Uhr erhalten Sie …«, macht die Leute erst recht fuchsteufelswild! Ilonas einzige Rettung ist der von ihr geschmähte Wolf. Weil Astrid durch das Gezeter fortwährend geweckt wird, gähnt sie oft und entblößt dabei ihre Reißzähne. Auch ihr weißes blindes Auge flößt den geprellten Abonnenten Respekt ein. Gott sei Dank geht uns dieser Ärger nichts mehr an! Wir müssen keine Abonnenten werben! Ist das nicht eine wunderbare Emanzipation vom Leser?
    Gestern war nun die große Besprechung. Ich hatte Frau Schorba gebeten, den Raum ein bißchen vorzubereiten, und damit nur gemeint, den Tisch abzuräumen und genügend Stühle heranzuschaffen.
    Für meine Leute aber war diese Zusammenkunft etwas Feierliches. Sie hatten den langen Tisch mit Papierbögen bedeckt und Kerzen auf Untertassen gestellt. Für jeden gab es zwei Plastebecher. Sie hatten Mineralwasser und Wein gekauft, dazu jede Menge Salzstangen. Für die Kerzen war es natürlich zu hell.
    Pringel und Schorba steckten in den gleichen grauen

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