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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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und nicht mal das war bisher gegeben, wünsche ich mir eine Liebe Ebenbürtiger, die unter gleichen Voraussetzungen handeln. Ich will eine Liebe ohne alle Vertracktheit und Verrenkungen. Ich will Weckerklingeln am Morgen und das Abendbrot immer zur gleichen Zeit, ich will Urlaub und Sonntagsausflüge. Ich will eine Familie. Ja, ich sehne mich nach Bürgerlichkeit, nach Ordnung, in mir und um mich. Nicoletta liefe wohl davon, wenn ich ihr das beichten würde.
    Hast Du in der vorletzten Ausgabe den Artikel über das Lindenau-Museum gelesen? Hinter all diesen Plänen steckt Nicoletta. Sie hat sich außerdem in den Kopf gesetzt, im Lindenau-Museum den Altar des Guido da Siena zu rekonstruieren, sie war schon in Eindhoven, wo es eine Tafel gibt (die anderen Tafeln sind in Princeton, im Louvre und natürlich in Siena). Die Holländer haben wohl schon zugestimmt, die Rekonstruktion wäre eine Sensation! 324
    Sobald meine neue Wohnung bezugsfertig ist, wird Vera für ein paar Wochen oder Monate nach Altenburg kommen.
    Sie hat sich von Nicola getrennt, oder er von ihr, was sie nie zugeben würde, dafür ist in Vera zu viel gekränkte Eitelkeit, weibliche Eitelkeit. Das macht es für mich so schwierig, sie zu trösten. Ihr Auftreten jedoch ist mondän! Niemand würde glauben, daß sie aus zwei Koffern lebt. Beirut war für sie doch etwas zu viel Abenteuer. Nicolas Mutter hat sie mit dem Gerede um Entführungen völlig verunsichert, der Strom fällt ständig aus, die Generatoren machen ohrenbetäubenden Lärm und verpesten die Luft. Grün gibt es sowieso nicht, das Meer ist eine Kloake, und die Autos rasen mit hundert durch die Straßen, bremsen, rasen weiter – aus Angst vor Scharfschützen. Gegen Westbeirut ist Westberlin wohl so weitläufig wie die Prärie. Ihr einziger Vorteil war, daß sie getauft ist. Das wird akzeptiert. Bloß kein Atheismus!
    Nicola wittert jetzt das große Geschäft. Sein Zukunftsorakel ist ein Glaser. Kaufen die Leute Fensterglas, besteht Hoffnung auf Frieden. Und jetzt kaufen sie ihm wohl das Lager leer.
    Zurück nach Dresden will sie keinesfalls, und in Berlin, in ihrem schönen Westberlin, hat sie auch keine Arbeit mehr. Sie löst die Wohnung und Nicolas Laden auf. Sie verschleudert alles, und wenn sie Pech hat, bleiben sogar noch Schulden an ihr hängen. Ihr werdet Euch hier also wiedersehen.
    Gib Dir und Franziska ein paar Wochen Eingewöhnungszeit. Alles, was die Arbeit betrifft, sieht der Baron sehr nüchtern. Das sollte Dich nicht verunsichern. Ich habe Dir ja meine erste Begegnung mit ihm beschrieben. Pringel und Frau Schorba sind völlig vorbehaltlos, und für unsere Elevinnen 325 bist Du sowieso schon eine Berühmtheit. Wahrscheinlich werden sie sich darum streiten, wer Dich in die Geheimlehre des Layouts einführen darf. Jörg beneidet Dich um das Buch. Jemanden wieDich an meiner Seite zu sehen hatten Marion und er wohl nicht erwartet.
    Anton Larschen, der sich schon in einen bösen Geist zu verwandeln drohte, fördert nun wieder gute Gaben aus seinem Rucksack. Du hättest mit Deinen Änderungsvorschlägen »auf der ganzen Linie recht«. Frau Schorba wird am Wochenende den Text in den Computer tippen.
    Das Geschäftliche laß getrost meine Sorge sein. Die Zeit arbeitet für uns. Deine Fahrschule bezahlen wir, Voranmeldungen braucht man nicht mehr. Im Herbst fährst dann
Du
den LeBaron!
    Ihr könnt spätestens im September einziehen, denn für jeden Tag nach dem 31. August blecht die Baufirma, so steht es im Vertrag. Die Miete wird moderat sein. Hab ich Dir gesagt, daß im Badezimmer nicht nur eine schnöde Wanne, sondern ein richtiger kleiner Whirlpool geplant ist?
    Stell Dir einen Spätsommertag vor, von unten duften die Äpfel herauf, oben riecht alles noch ein bißchen frisch, das Schloß ragt vor Euch auf, dahinter die Hügel und in der Ferne das Gebirge. Ihr werdet genügend Geld haben, keine Zukunftssorgen, und jeder kann ganz in Ruhe machen, was er will. Und nächstes Jahr fahren wir alle nach Italien oder fliegen in die USA und essen Lobster.
    Gib Franziska einen Kuß!
    Dein Enrico

 
     
    Dienstag, 19. 6. 90
     
    Lieber Jo!
    Ich habe mich in die Arbeit gestürzt – mir blieb auch gar nichts anderes übrig. Die Verhältnisse klären sich mit einer Schnelligkeit, die ich selbst nicht für möglich gehalten hätte. Kaum mehr als eine Woche ist vergangen, und aus dem ganzen Tohuwabohu erstehen bereits die Konturen unserer Zeitung.
    Auch mit uns geht eine Verwandlung vor. Ob Frau

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