Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
Vom Netzwerk:
wofür man jetzt mit dem Finger auf ihn zeige und seine Frau beschimpfe. Hunderte von Artikeln!
    Und ganz unvermittelt, ohne den Tonfall zu ändern, nannte Pringel es eine Gnade, eine Gnade des Schicksals, noch mal eine Chance zu bekommen, eine Chance, wie sie sich ihm nie geboten, ja an die er nicht mehr geglaubt habe. Sein Leben außerhalb der Familie habe zum ersten Mal einen Sinn, zum ersten Mal fühle er sich gebraucht. Er senkte den Kopf und starrte zu Boden. Sein Schweigen wirkte fast trotzig.
    Man seufzte, räusperte sich, sah einander an und blickte gleich wieder weg. Der Erbprinz nannte ihn einen ehrlichen Jungen und wollte noch etwas sagen, als Pringel bereits vor ihm stand, die Hände des Erbprinzen ergriff und ihnen mit dem Gesicht bedenklich nahe kam. »Ich danke Ihnen, daß Sie sich hierherbemüht haben.« Er hielt inne wie einer, der merkt, daß er den falschen Text hat und auf das Flüstern der Souffleuse wartet.
    »Einmal habe ich richtig geliebt«, sagte Evi, wie um Pringel aus der Patsche zu helfen, »doch nach der dritten Fehlgeburt hatmich Matthias verlassen.« Sie habe an Selbstmord gedacht, alles sei für sie zu Ende gewesen. Seit dem Vorstellungsgespräch hier bei uns mache sie täglich Dauerlauf, weil sie sich selbst wieder gefallen und schlank werden wolle. Sie schäme sich, das zu sagen, aber sie sei überzeugt davon – solange sie im Dauerlauf durchhalte, sei sie gefeit vor jeglichem Unglück, werde ihre Stelle behalten und einen Mann finden und Kinder kriegen. Für manche sei das ja nichts Besonderes, für sie schon. »So«, sagte sie zum Schluß.
    Bei ihm gebe es nicht viel zu sagen, meinte Kurt. Er saß auf dem Tisch, wippte mit dem Unterschenkel und zwirbelte die kurzen Härchen seines Oberlippenbartes. Er habe nie etwas Großes erwartet. Er habe sich angestrengt, eigentlich habe er sich zeit seines Lebens angestrengt, aber Erfolg, was solle er denn für einen Erfolg haben. Ihm habe der Spruch gefallen: »Ich bin Bergmann, wer ist mehr?« Deshalb sei er zur Wismut, und wegen des Geldes. Seine ganze Familie habe immer Dreckarbeit gemacht, und er eben auch. Illusionen hätte er nie gehabt. Deshalb sei er zufrieden. Und jetzt, wenn es gerecht zugehe, sei das auch gut. Es müsse gerecht bezahlt werden, wenigstens halbwegs gerecht, das sei für ihn die Hauptsache.
    Schorba sprach von seinem Traum, etwas Richtiges zu erleben und zu leisten. Deshalb sei er drei Jahre zur Armee gegangen, als Fallschirmjäger, dann zur Wismut, später sogar als Hauer, bis ihn sein Steiger auf die Idee gebracht habe, sich zu qualifizieren, fünf Jahre die Schulbank zu drücken, also Abschied vom schnellen Geld. Obwohl Irma, seine Frau, ihn immer darin bestärkt und unterstützt, ja selbst auf ein Studium verzichtet habe wegen der Kinder, die plötzlich gepurzelt kamen, eins nach dem anderen, sei er immer im Zweifel gewesen, ob er die richtige Entscheidung getroffen habe. Alles sei so schnell vorüber gewesen. Natürlich hatte er bei der Wismut Privilegien, diebesten Ferienplätze, Vierraumwohnung und das Angebot mit dem Auto. Aber das konnten sie sich gar nicht leisten. Und es nehmen und weiterverkaufen fanden sie nicht in Ordnung. Sie hätten die Anmeldung zurückgegeben, dafür habe man ihn für verrückt erklärt. 364 Er wisse gar nicht, warum er das erzähle, solche Nebensächlichkeiten, aber der Haß damals, wegen etwas, das doch im Sinne der Gesellschaft gewesen sei, das habe er nicht verstanden, davon habe er noch heute Alpträume.
    »Na ja«, sagte Frau Schorba nach einer Weile, in der es atemlos still gewesen war, »na ja, die Männer, die erzählen das so glatt runter und reiben sich an Sachen auf, die unsereiner gar nicht merkt. Na ja, da wird man nicht viel machen könn, auch zukünftig, mein ich. Er ist halt mein erster Mann gewesen, mein erster und einziger, da war ich noch nicht mal siebzehn. Mit achtzehn kam die Tanja, und mit zwanzig der Sebastian, und als ich mit Anja schwanger war, da war er beim Studium und hat mit anderen rumgebumst, obwohl ich mich nie verweigert habe, er hat ja Kinder, für die er zahlen muß, deshalb hat’s vorn und hinten nicht gelangt. Er ist in die Partei, sonst hätten sie ihn rausgeschmissen, vom Studium, die haben nämlich drauf geachtet, ob einer Familie hat und wie er sich benimmt. Er wollte mich wirklich sitzenlassen, mit drei Kindern. Und da hab ich gesagt: Ich bring dich um. Wenn du das tust, bring ich dich um. Mehr hab ich nicht gesagt, und da hat er’s

Weitere Kostenlose Bücher