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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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schlecht aussieht, und Georgs Familie. (Franka in einem todschicken Kleid – einem Geschenk der Offenburger Zeitungszarin.) Ein Photo über vier Spalten.
    Danach folgte sein Besuch in der Redaktion. Er bewahrtesein Lächeln, als Schorba und ich die Hände zu einem Sitz verschränkten und ihn die schmale Treppe hinauftrugen. Er ist leicht wie ein Vogel, seine um unsere Schultern gelegten Arme spürte ich kaum. Andy und der Baron schleppten den Rollstuhl, und oben warteten schon die Damen und applaudierten. Astrid ließ sich kaum bändigen, wedelte wild mit dem Schwanz und gab erst Ruhe, als ihre Schnauze auf dem Knie des Erbprinzen lag.
    Frau Schorba verhedderte sich bei der Begrüßung sofort in dem von ihr selbst abgeschriebenen Zeremoniell, errötete und mußte sich von ihm beruhigen lassen. Er sei ein hinfälliger Rentner, sagte er, froh und dankbar, nach Altenburg zurückkehren zu dürfen. Seine Stimme ist so fragil wie seine ganze Gestalt. Die ringlosen Hände, die auf der dünnen Decke über seinen Knien liegen, zittern immer ein wenig. Will er etwas sagen, befeuchtet er die Lippen. Mitunter geschieht dies auch absichtslos, weshalb er uns dann fragend anschaut, um zu erfahren, warum wir verstummen.
    Obwohl ich von »Wochenblatt«
und
»Sonntagsblatt« sprach, das diesen Sonntag zum ersten Mal erscheinen würde, klang es wohl so, als wären wir noch eine Firma. Dann durfte Georg ihm den Reprint der »Herzöge von Altenburg« überreichen. Der Erbprinz blätterte und fand gleich die gedruckte Widmung: »Seiner Hoheit, dem Erbprinzen Franz Richard von Sachsen-Altenburg anläßlich seines Besuches in Altenburg am 7. und 8. Juli 1990 in Verehrung und Freude zugeeignet.«
    Georgs Artigkeit, er habe das Buch nur dank der großzügigen Hilfe des Herrn von Barrista herausbringen können, überhörte der Erbprinz, und Barrista blickte finster drein.
    Wir schoben den Erbprinzen in den Computerraum. Auch Mutter, Vera und Michaela bekamen nun unser Allerheiligstes zu sehen. Alle lächelten. In das Schweigen hinein sagte ich, daß wir uns als Rebellen und Aufständische fühlten. Da die großen SED -Bezirkszeitungen bald unter Springer, WAZ und Co. aufgeteilt würden, stünden wir allein gegen ganze Armeen. Bereits jetzt gebe es kaum noch ostdeutsche Zeitungen in der Hand von Ostdeutschen. 363 Ja, sagte der Erbprinz, dabei könne er uns nur alles Glück dieser Welt wünschen. Denn eine eigene Stimme sei wichtig.
    Frau Schorba nickte und wollte ihren ersten Auftritt vergessen machen, indem sie, um dialektfreien und gehobenen Ausdruck bemüht, verkündete, wie wichtig es für sie sei, eigenverantwortlich zu arbeiten. Wir müßten das Arbeiten nicht erst lernen, schloß sie abrupt, als sei sie ihrer eigenen Redeweise überdrüssig geworden.
    Der Erbprinz ließ keine Verlegenheit aufkommen und erkundigte sich nach unseren Vorlieben, Gewohnheiten, Lieblingsgerichten und nach der hiesigen Landwirtschaft. Ein paar spärliche Antworten inspirierten ihn zu einem kleinen Vortrag. Er halte dafür, daß jedes Gemüse und jedes Obst seine natürliche Zeit haben solle. Erdbeeren im Frühjahr und Bratäpfel im Winter. Die hereinbrechende Überfülle sei den Menschen nicht zuträglich.
    Das könne gut sein, antwortete Mona, davon verstehe sie nichts, doch das Angebot, das sie in dieser Woche kennengelernt habe, wolle sie um nichts in der Welt wieder missen, auch wenn sie es sich nicht immer leisten könne. Die Zeit, in der sie früher endlos habe anstehen müssen, um für ihren Sohn Pfirsiche oder Paprika zu kriegen, diese Zeit wünsche sie sich nicht zurück. Mona erhielt Zuspruch. Der Erbprinz wandte sich immer, soweit es der Rollstuhl erlaubte, dem jeweiligen Sprecher zu, hielthin und wieder die Hand hinters Ohr und lächelte. Auch wenn er mit dem Gesagten nicht viel anzufangen wußte, so war es, wie er später bekannte, der Klang des Altenburgischen gewesen, der ihn wie ein Duft berauscht habe. Auf einmal wollte jede und jeder zu Wort kommen.
    Pringel, bleich unter seinen Barthaaren, rief über die Köpfe von Evi und Mona hinweg, daß er in der SED gewesen sei und für eine Betriebszeitung – er mußte erklären, was das ist – Artikel geschrieben habe, für die er sich heute schäme, jawohl, abgrundtief schäme.
    Pringel war aufgestanden, als ließe sich anders nicht von seinem Artikel reden. »Und trotzdem, trotzdem«, fuhr er atemlos fort, wenn man bedenke, was er alles geschrieben habe, das sei doch viel mehr, viel mehr als das,

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