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Neue Schuhe zum Dessert

Neue Schuhe zum Dessert

Titel: Neue Schuhe zum Dessert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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die man übersehen konnte, wenn man im falschen Moment blinzelte, hatte es keinerlei Wirkung. Mein Leben war genauso wie vorher, und jetzt musste ich mich daran gewöhnen.
    Ich versuchte mich aufzuheitern, indem ich dachte: Ich habe alle meine Gliedmaßen bei einem Sturz in eine Fleischschneidemaschine verloren, meine Schwester und ihr Freund sind in Tschetschenien gekidnappt worden (obwohl sie in Argentinien waren), und mein Kind hat einen abnorm großen Kopf, der es zum Gespött der Leute macht.
    Diese Methode wende ich an, wenn ich zutiefst unglücklich bin: Ich rede mir ein, dass eine schreckliche Katastrophe eingetreten ist, damit ich sagen kann: »Vor dieser Katastrophe war ich vom Glück begünstigt, ohne mir dessen bewusst zu sein. Ich würde alles drum geben, wenn ich die Zeit noch einmal zurückdrehen könnte.« Das hatte den Zweck, dass ich der einst langweiligen Normalität den Glanz einer Utopie verlieh. Denn dann konnte ich mir sagen, dass die Katastrophe gar nicht passiert war, dass ich nicht einmal in die Nähe einer Fleischschneidemaschine gekommen war und dass mein Leben tatsächlich eine glorreiche, katastrophenfreie Utopie ist. Danach bin ich gewöhnlich dankbar für das, was ich habe.
     
    Dennoch, die Enttäuschung dämpfte meine Stimmung, und als mein Dad ein paar Tage später anrief, fiel es mir schwer, einigermaßen lebendig zu klingen. Doch das war nicht schlimm, er war lebhaft genug für zehn.
    »Lily, Liebes!«, rief er aus. »Hier sind Neuigkeiten für dich. Eine Freundin von Debs, Shirley – du kennst sie, groß, hager – hat dein Buch gelesen, Mimis Medizin , und sie fand es genial. Als sie bei uns war, hat sie unentwegt davon gesprochen.« Er senkte die Stimme, um ihr Nachdruck zu verleihen. »Sie wusste nicht mal, dass du meine Tochter bist , ist ihr gar nicht aufgefallen. Sie wollen das in ihrem Lesekreis lesen, und als sie mitkriegte, dass ich dich kenne, ist sie richtig übergeschnappt, stell dir das vor. Sie will signierte Exemplare haben.«
    »Danke, Dad, das ist nett von dir.« Es war zwar ein Einzelfall, aber es hellte meine Stimmung tatsächlich ein bisschen auf. Ich brauchte nicht zu fragen, warum er mir das erzählte und nicht Debs. Es hätte Debs umgebracht, nett zu mir zu sein – wir nannten sie nicht umsonst Dolchstoß-Debs.
    »Ich habe sechs Bücher hier, wann kann ich mal vorbeikommen, dass du sie signierst?«
    »Jederzeit, Dad, ich bin zu Hause.«
    Ihm fiel mein Ton auf. »Kopf hoch, Mädel«, sagte er fröhlich, »das ist erst der Anfang.«
    Ich hatte einmal einen Zeitungsartikel gelesen, in dem der Schauspieler Bob Hoskins als »Eier auf Beinen« beschrieben wird, und so war Dad auch. Er war gedrungen, hatte einen breiten Brustkorb und einen breitbeinigen Gang; er war ein Junge aus der Arbeiterklasse, der es geschafft hatte. Und dann getaumelt war. Und es später wieder geschafft hatte.
    Meine Mum war eine Schönheit gewesen und hatte unter ihrem Stand geheiratet. Das waren ihre (wenn auch witzig gemeinten) Worte. Sie hatte sich mit Dad zusammengetan, weil er zu ihr gesagt hatte: »Halt dich an mich, Puppe, mit mir erlebst du was.« Das waren seine Worte, und er hielt, was er versprach. Von bescheidenen Verhältnissen in Hounslow West zogen sie in ein großartiges Haus in Guildford und zurück in eine Dreizimmerwohnung über einem Kebab-Laden in Kentish Town.
    (Deswegen habe ich eine Aversion gegen das Umziehen entwickelt. Und wenn das Dach über mir einstürzte – ich würde mir lieber mit Plastikplanen und Kreppband behelfen als umziehen.)
    Einen unternehmungsfreudigen Vater zu haben, klingt wie eine gute Sache. So ein Vater kommt schnell zu Geld und verpflanzt seine Frau und seine zwei Töchter in ein elegantes, großzügiges Haus in Surrey. Seltener hört man von diesen risikobereiten Männern, die einen Schritt zu weit gehen und alles aufs Spiel setzen, einschließlich dem Haus, in dem die Familie wohnt, weil sie hoffen, wieder einen riesigen Gewinn zu machen und ihren schon enormen Reichtum noch mal erheblich zu mehren. Die Wirtschaftsseiten der Zeitung hegen große Bewunderung für diese Menschen (und anscheinend sind es immer Männer), die zu einer Million kommen, sie verlieren und wieder gewinnen. Aber wenn jetzt so ein Mann der eigene Vater ist?
    An einem Tag wurde ich in einem Bentley zur Schule gebracht, am nächsten Tag in einem weißen Lieferwagen, und am dritten Tag ging ich gar nicht mehr auf diese Schule. Erst war ich im Ponyclub, dann wurden

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