Neue Schuhe zum Dessert
Es war eine schlimme Nacht, auch für Emas Verhältnisse.
»Ich gehe«, sagte Anton.
»Danke.« Ich taumelte wieder ins Koma zurück. Dann rüttelte mich jemand an der Schulter, und ich fühlte mich wie ein Bleigewicht, als ich versuchte, das Bewusstsein zu erlangen. Es war Anton. »Sie hat sich voll gekotzt.«
»Wechsel das Bettzeug und ihren Schlafanzug.«
Es fühlte sich an, als ob ich keine zwei Sekunden später wieder vom Meeresboden nach oben geholt wurde.
»Entschuldige Schatz, sie verlangt nach dir.«
Ich muss aufwachen, ich muss aufwachen, ich muss aufwachen .
Ich zwang mich aufzustehen, das Schwerste, was ich je tun musste, und ging zu Ema. Ihr Gesicht war stark gerötet, ihr Zimmer roch nach Erbrochenem, aber sie grinste trotzdem wie eine Verrückte.
»Lily!« Sie freute sich, mich zu sehen, obwohl keine Stunde vergangen war seit dem letzten Mal.
Ich nahm sie hoch; sie glühte. Sie wurde nur selten krank. Sie war eine zähe kleine Person, und wenn sie hinfiel und sich wehtat, worauf andere Kinder laut loskreischten, rieb sie sich nur die verletzte Stelle und stand wieder auf. Sie war so hart im Nehmen, dass sie sich manchmal über andere Kinder, die sich wehgetan hatten, lustig machte; dann rieb sie sich die Augen und machte »Huhuhu«, in Nachahmung ihres Wehgeschreis. (Ich hatte versucht, ihr das abzugewöhnen, weil die anderen Mütter es kein bisschen lustig fanden.)
»Lass uns mal Fieber messen.«
Ihre Körpertemperatur war 36,7 unter der Achsel, 36,9 im Ohr, 37,0 im Mund, 36,8 rektal. »Tut mir Leid, mein Schatz.« In jeder Körperöffnung war ihre Temperatur normal.
Ich untersuchte sie auf Hautausschlag, dann hob ich ihr Kinn, um zu sehen, ob der Hals steif war. »He«, sagte sie. Ich deutete das als schlechtes Zeichen, deswegen machte ich es noch ein paar Mal, bis sie lachte.
»Dir fehlt nichts«, sagte ich, »jetzt schlaf mal schön. Ich muss morgen ein Buch schreiben.«
Sie legte die Hand über die Augen und sagte in einem Singsang: »Ich sehe dich.«
»Schatz, es ist Viertel nach vier, es ist mitten in der Nacht, die Sicht ist ganz schlecht.«
Ich setzte mich in den Schaukelstuhl, in der Hoffnung, ich könnte sie in den Schlaf wiegen, als zu meiner übergroßen Überraschung ein Gesicht vor dem Fenster erschien. Es war ein Mann, ungefähr Anfang vierzig. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass es ein Einbrecher war. Ich hatte gedacht, dass Einbrüche von jungen Männern verübt würden. Offenbar war er an dem Baugerüst hochgeklettert. Wir sahen einander an, starr vor Staunen.
»Lassen Sie es«, sagte ich, »wir haben nichts.«
Er rührte sich nicht vom Fleck.
»Unser venezolanisches Aupair hat sich geweigert, bei uns einzuziehen«, rief ich ihm zu und hielt Ema an mich gedrückt. »Ihr war es lieber, in Cricklewood bei einem Mann zu wohnen, den sie kaum kannte. Er heißt Bloggers. Ich hatte ein paar teure Kosmetika, aber die hat sie alle mitgenommen. Das ist jetzt alles in Cricklewood.«
Ich wartete einen Moment, bis sich diese Information gesetzt hatte, und als ich wieder guckte, war der Einbrecher so leise verschwunden, wie er gekommen war.
Dann ging ich wieder in unser Schlafzimmer, weckte Anton und erzählte ihm, was passiert war.
»Das ist doch das Allerletzte«, sagte er, »morgen früh rufe ich Macko an.«
Anton hielt Wort und rief an, mit einer Lockerheit in der Stimme, die auf Wut gründete. »Morgen, Macko. Wie stehen die Chancen, dass wir einen von Ihnen zu Gesicht bekommen? Nein? Warum denn diesmal nicht? Jemand ist gestorben? Lassen Sie mich mal raten, ihr Hund? Ihr vierzehnter Cousin zweiten Grades? Ach, Ihr Vater? Das ist dann schon, ach, das dritte Mal in diesem Monat, dass er verschieden ist. Schon wieder so ein Anfall, was? Vielleicht sollte er es mal mit Lebertran versuchen.«
Anton verstummte, er hörte zu, hörte weiter zu, dann murmelte er etwas und legte auf. »Verdammt!«
»Was?«
»Mackos Vater ist wirklich gestorben. Er hat geweint. Jetzt kommen sie gar nicht mehr.«
Ich war verzweifelt. Gemma konnte daran nicht schuld sein, aber ich beschloss, sie ihr dennoch zuzuschieben.
Im Verlauf des Morgens hatte ich wieder einen Grund, an Gemma zu denken: Tania Teal schickte mir ein fertiges Exemplar von Glasklar. Es sah gut aus, ein ziemlich gewichtiges Hardcover mit einem Umschlagdesign ähnlich dem von Mimis Medizin . Auf meinem ersten Buch war ein verschwommenes Gemälde von einer hübschen, hexenhaften Frau vor einem taubenblauen
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