Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
Mensa noch zu früh, die Verhandlung war schneller zu Ende gewesen, als er erwartet hatte, und bis zu seiner Verabredung mit Martin Klapp war noch eine halbe Stunde Zeit. Direkt neben der Mensa war eine Cafeteria, dort holte er sich einen Kaffee und suchte sich einen Sitzplatz, und dabei entdeckte er Martin Klapp, der an einem Tisch am Fenster saß und dabei zuschaute, wie sich der Sommerregen über eine hinter dem Fenster befindliche Kunst-am-Bau-Installation ergoß. Eigentlich hatte Frank noch keine Lust, Martin Klapp zu treffen, er scheute davor zurück, ihm erzählen zu müssen, daß er bei der Verhandlung durchgefallen war, er wollte dazu keine schlauen Sprüche hören, und Mitleid wollte er auch nicht, deshalb spielte er kurz mit dem Gedanken, sich in eine andere Ecke des mit Resopaltischen möblierten Raumes zu setzen und so zu tun, als hätte er Martin Klapp nicht gesehen, aber dann dachte er, was soll’s, man kann es genausogut gleich jetzt hinter sich bringen, dann ist man bis zum Mittagessen mit dem Thema durch, und alles ist gut.
»He, Martin«, sagte er, als er bei seinem Freund angekommen war.
Martin Klapp fuhr zusammen. »Mann, hast du mich erschreckt.«
»Tut mir leid.«
»Ja«, sagte Martin Klapp ernst und blickte wieder zum Fenster. Er sah nicht gut aus, er war offensichtlich nicht ganz bei sich, er schaute stumm auf die Installation hinter dem Fenster und rührte zugleich ohne hinzusehen in einer trüben, rosafarbenen Flüssigkeit, in der weiße Flocken schwammen.
»Was hast du denn da?«
»Was?«
»Wo rührst du da denn drin rum?«
»Weiß nicht«, sagte Martin und schaute in den Styro-porbecher, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Hagebuttentee.«
»Was ist das Weiße?«
»Milch. Die ist irgendwie flockig geworden.«
»Das liegt an der Säure«, sagte Frank und setzte sich.
»Hä?«
»Das mit dem Flockigwerden der Milch. Das liegt an der Säure.«
»Wieso das denn?«
»Die Säure läßt das Eiweiß in der Milch koagulieren, und dann fällt das so als Flocken aus. Wie bei saurer Milch. Ist das gleiche. Die wird ja auch fest.«
»Hm ..,«
»Oder jedenfalls flockig. Hatten wir in Chemie mal, in der Schule, in der zehnten oder so.«
»Frankie, nimm’s mir nicht übel, aber darüber solltest du dich vielleicht mit einem Chemiestudenten unterhalten, davon gibt’s hier einige.«
»Okay, okay«, sagte Frank. Er nippte an seinem Kaffee und fragte sich, was mit seinem Freund bloß los war.
»Martin, das ist alles andere als normal, was hier läuft! Seit wann trinkst du so einen Scheiß und sitzt hier sinnlos rum, während du doch eigentlich studieren solltest.«
»Ich sitze oft hier, das hat gar nichts zu bedeuten.«
»Ja, aber doch nicht so.«
»Wie, so?«
»Na so halt. Mit Aus-dem-Fenster-starren und so einen Kram da zu beobachten. Was soll das darstellen?«
»Das soll nichts darstellen. Das ist Kunst am Bau.«
»Ich weiß, daß das Kunst am Bau ist, ich bin ja nicht blöd.« Es handelte sich bei der Installation um drei unterschiedlich große Betonkugeln, die in einem Kiesbett lagen. »Ich wollte auch nicht wissen, was das da darstellen soll, ich wollte wissen, was das darstellen soll, daß du hier … «
»Das ist wirklich eine der blödesten Fragen, die ich je gehört habe, Frankie«, unterbrach ihn Martin Klapp. »Ich denke, dein Bruder ist Künstler, ist denn da gar nichts auf dich abgefärbt? Ich meine, stellt man da noch solche Fragen? Was ein Kunstwerk darstellen soll? Sowas fragt man da noch?«
»Ich habe überhaupt nicht wegen dem Ding da gefragt. Ich wollte wissen, was mit dir los ist!«
»Ach so!« Martin Klapp seufzte. Dann schwieg er eine Weile. »Was soll mit mir schon los sein?«
Frank mußte lachen.
»Das ist schäbig«, sagte Martin Klapp, »das gehört sich nicht, daß man lacht, wenn es einem nicht gut geht, so sieht das aus.«
»Bist du krank?«
»Nein, ist wegen was anderem.«
»Was denn nun.«
»Mann, ist das ekelig«, sagte Martin Klapp und rührte wieder in seinem Getränk. »Und kalt ist das jetzt auch.«
»Manchmal koaguliert das Eiweiß auch nur wegen der Hitze, glaube ich«, sagte Frank. »So wenn das kochend heiß ist. Deshalb soll man ja Wollsachen auch nicht in die Kochwäsche tun. Die besteht ja auch aus Eiweißen, die Wolle, aber da geht’s wohl mehr um die Disulfidbrücken, ich weiß nicht genau, ob das dann die gleiche Sache ist.«
»Hä?«
»Nur so. Ich dachte nur, wenn du über irgendeinen Scheiß redest, statt endlich zu
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