Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
alles verantwortlich machen, dachte er, aus tiefstem Herzen zu hassen begann, und er wollte gerade ausfallend werden, als ihm der Bärtige wieder zu Hilfe kam.
»Also mich langweilt das jetzt mit dieser Frage«, sagte er, »ich will das nicht mehr hören.«
»Was für Fragen ich stelle, das müssen Sie schon mir überlassen, schließlich führe ich hier die Verhandlung«, sagte der Vorsitzende spitz.
»Ja, aber die Sache ist doch erschöpfend beantwortet, gerade weil Sie doch sehen, daß der Herr Lehmann diese Frage nicht beantworten kann, was man doch nur so deuten kann, daß Sie ihn hier vor ein Dilemma stellen, für das es keinen Ausweg gibt, und dadurch wird doch deutlich, daß er es tatsächlich ernst meint. Schließlich haben wir nicht die objektive Logik seiner Gewissensentscheidung zu bewerten, sondern bloß die innere Logik, und der entspricht seine Ratlosigkeit durchaus.«
Frank liebte den Mann in diesem Moment. Ich hätte es selbst nicht besser sagen können, dachte er, im Gegenteil, ich hätte es nur schlechter sagen können, und das wäre nicht gut gewesen, dachte er.
»Sie meinen«, sagte der schlechtgelaunte alte Mann höhnisch, »weil er auf eine einfache Frage keine Antwort weiß, sollen wir das zu seinen Gunsten auslegen, ja? Na, das ist ja prächtig, das stellt ja wohl alles auf den Kopf.«
»Ich finde auch«, sagte der FDP-Mann, »daß er sich ruhig mal ein bißchen Mühe damit geben kann.«
»Jetzt reicht’s aber«, sagte Frank, der jetzt nichts weniger mehr wollte als diesem Mann zu gefallen und deshalb beschloß, daß die Sache verloren war. »So geht’s aber nicht!«
»Was geht nicht?« sagte der FDP-Mann.
»Man spricht nicht über Anwesende in der dritten Person. Das gehört sich nicht.«
»Na hören Sie mal …«, begann der FDP-Mann, aber der Vorsitzende schnitt ihm das Wort ab.
»Okay«, sagte er. »Da haben Sie natürlich recht. Dann reicht das jetzt wohl auch. Wenn sonst keiner mehr eine Frage hat, dann können Sie jetzt rausgehen und dann können wir in Ruhe über Ihren Fall beraten. Oder hat noch einer eine Frage?«
Frank wollte schon aufstehen, aber der Bärtige gab die Sache noch nicht verloren.
»Ja, ich hätte noch eine Frage«, sagte er. »Dieses blaue Auge da, haben Sie das von einer Schlägerei?«
»Nein. Ich bin hingefallen«, sagte Frank.
»Ich meine, Sie sind doch bei der Bundeswehr, haben Sie da vielleicht wegen Ihres Antrags auf Kriegsdienstverweigerung was auszustehen gehabt? Bei Ihren Kameraden? Oder bei Ihren Vorgesetzten?«
Jetzt schauten ihn wieder alle interessiert an. Frank war klar, daß hier eine Chance lag, die Sache noch einmal umzudrehen. Aber er wollte nicht mehr.
»Nein, die waren alle ganz okay«, sagte er, »von diesem Schmidt mal abgesehen, aber das weiß ich ja auch erst seit heute, daß der so krumme Dinger macht.«
»Also sind Sie da nicht etwa verprügelt worden oder so?«
»Nein«, sagte Frank. »Nein, so war das nicht. Danke, daß Sie fragen, aber so war das nicht.« Er stand auf. »War’s das?« fragte er.
»Ja, es sei denn, es hat noch jemand eine Frage«, sagte der Vorsitzende.
»Für mich genügt das. Ich weiß jetzt Bescheid«, sagte der FDP-Mann. Die anderen beiden schwiegen nur.
»Dann können Sie draußen warten, bis hier eine Entscheidung gefallen ist«, sagte der Vorsitzende.
Frank ging hinaus und setzte sich im Flur auf einen Stuhl. Es dauerte nicht lange, bis sie ihn wieder hineinriefen und ihm mitteilten, er sei »nicht berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern«. Er nahm den entsprechenden schriftlichen Bescheid entgegen, es war ein Vordruck, in dem das Wort »nicht« je nach Bedarf gestrichen werden konnte oder nicht. Ganz schön leichtsinnig, dachte er, während der Vorsitzende noch irgend etwas über Einspruchsfristen sagte.
»Ja, ja, das weiß ich alles«, unterbrach Frank ihn schließlich.
»Dann können Sie jetzt gehen«, sagte der Vorsitzende.
»Alles klar«, sagte Frank. »Tschüß dann.«
Er drehte sich um und ging zur Tür.
»Und gute Besserung für Ihr Auge«, rief der Vorsitzende ihm hinterher.
Frank, der schon halb aus der Tür raus war, drehte sich noch einmal um.
»Halt’s Maul, Opa«, sagte er sanft und schloß behutsam die Tür.
29. KUNST AM BAU
Frank hatte sich mit Martin Klapp an der Uni verabredet, um vom Ergebnis seiner Verhandlung zu berichten und in der Mensa noch etwas zu essen, bevor er wieder in die Kaserne zurückfuhr. Als er an der Uni ankam, war es für die
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