Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
Monate später ging Frank Lehmann über das Gelände der Lettow-Vorbeck-Kaserne in der Neuen Vahr Süd, um für sich und seine Kameraden von der Betriebsstoffgruppe das zweite Frühstück zu holen. Genauer gesagt ging er in das Mannschaftsheim, um dort zunächst einmal in Ruhe und allein das zweite Frühstück einzunehmen, und danach mit den üblichen Einkäufen, einer Streuselschnecke für den Gefreiten Groß und drei Zwiebelmettwurstbrötchen mit extra Salz und viel Pfeffer für den Gefreiten Meyer, zur StandortTankstelle zurückzukehren. So machten sie es in der Betriebsstoffgruppe immer, und Frank war das sehr recht so, er war für jede Minute dankbar, in der er mit den Gefreiten Groß und Meyer nicht Zusammensein mußte.
Es wehte ein eisiger Wind über die große freie Fläche in der Mitte des Kasernengeländes, der war so stark und so kalt, daß Frank nur schwer vorankam und beim Gehen vornübergebeugt sein Schiffchen festhalten mußte. Außer ihm selbst gab es weit und breit nur noch eine einzige andere menschliche Gestalt, weit weg noch, aber in seine Richtung kommend, und das war Stuffz Aster, er erkannte ihn von weitem an seinem Gang, einem breitbeinigen, langsamen Gestiefel, und er fragte sich, wie der Stuffz es wohl anstellte, so langsam zu gehen, obwohl er doch sieben bis acht Windstärken im Rücken haben mußte. Das wird die langjährige Übung sein, dachte er, fast sechs Jahre Bundes-wehr, das übt gewaltig, da ändert sich am Gang nichts mehr, dachte er, auch nicht bei starkem Rückenwind. Ansonsten war er leicht beunruhigt über den Anblick von Stuffz Aster, dies war eine ungewöhnliche Zeit für ihn, er kam eigentlich immer erst kurz vor Mittag zur Kontrolle des Betriebsstoffausgabebuchs an die Tankstelle, und Stuffz Aster war nicht der Mann, der ohne große Not Veränderungen an seinen Gewohnheiten vornahm.
Deshalb wunderte Frank sich auch nicht, daß der Stuffz zum Zeichen irgendeines außergewöhnlichen Vorkommnisses mit den Armen ruderte, als er näher kam, und daß er »Lehmann, Lehmann« rief, so als wollte er jemanden stoppen, der mit großer Geschwindigkeit an ihm vorbei-zurauschen drohte, wovon in diesem Fall, da sie noch etwa zwanzig Meter voneinander entfernt waren und Frank gegen den Wind nur mühsam vorankam, nun wirklich keine Rede sein konnte. Stuffz Aster hatte, bei aller Gediegenheit und Gelassenheit, die er in seinem Dienst zwischen Tischtennis-platte im Kompaniegebäude und Billardtisch im Uffz-Heim zur Schau trug, bei außergewöhlichen Vorkommnissen einen gewissen Hang zur Panik.
»Lehmann! Lehmann!«
Etwas war anders an Stuffz Aster, und Frank brauchte einen Moment, um darauf zu kommen, was es war: Statt des Schiffchens trug der Stuffz ein rotes Barett, eine allerdings einschneidende Veränderung auf den letzten Drücker, dachte Frank, wußte er doch, daß der Stuffz bald ausgedient hatte und sein »Betteln um Nachschlag«, wie der Obergefreite Koch es genannt hatte, abschlägig beschieden worden war.
»Lehmann, Lehmann«, rief der Stuffz ein letztes Mal und blieb stehen. Frank blieb ebenfalls stehen.
»Moin, Stuffz«, sagte er freundlich. »Was haben Sie denn da auf dem Kopf? «
»Das kriegen Sie auch noch, Lehmann«, rief der Stuffz, »das kriegen Sie gleich auch noch. Die von der EVG/NVG gehen gerade rum und teilen das aus.«
»Aha«, sagte Frank.
»Lehmann!« rief Stuffz Aster.
»Was denn?«
»Ich glaube, wir kriegen eine Inspektion!«
»Aha … Wann denn?«
»Keine Ahnung. Nicht vom Stab. Irgendwie von außerhalb. Unangekündigt.«
»Soso … Und wer sagt das?«
»Das wird gemunkelt«, sagte der Stuffz.
»Ach so«, sagte Frank gelangweilt. Das letzte Mal, daß der Stuffz von einer Kontrolle hatte munkeln hören, lag viele Wochen zurück, damals war der Obergefreite Koch noch bei ihnen gewesen, und die Sache hatte sich als heiße Luft, wie Koch es genannt hatte, erwiesen »Habe ich ja gleich gesagt«, hatte Koch gesagt, als sie die Kanister mit dem überzähligen Mehrbereichsöl wieder aus den Nachfüllschächten der Tankstelle herausgeholt hatten, »war ja klar, daß das heiße Luft ist. Mit dem Stuffz ist nicht oft Alarm«, hatte der Obergefreite Koch gesagt, »aber wenn Alarm ist, dann ist es immer Fehlalarm.«
»Wir müssen das alles wieder in Ordnung bringen«, sagte der Stuffz jetzt. »Das muß alles wieder weggeschafft werden.«
»Ja, ja«, sagte Frank, »aber eigentlich ist doch noch alles noch in Ordnung vom letzten Mal, ich meine, es ist bloß
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