Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
Römische Geschichte dann auch nicht verdient, dachte er und stand schließlich auf, zog sich die Jacke an, pustete die Kerze aus und ertastete sich im Dunkeln den Weg aus der Wohnung, immer an der Wand lang und über die Steine stolpernd, die vom Türdurchbruch her noch im Flur herumlagen. Es war stockfinster und totenstill in der Wohnung, Frank war ganz alleine, und alles in allem fand er es jetzt ziemlich gruselig hier. Daß der Strom weg war, war eine neue Entwicklung, es war heute mittag passiert, kurz bevor Frank zu seinen Eltern gefahren war, plötzlich war es ganz still gewesen, beide Stereoanlagen, Wollis und Martin Klapps, hatten gleichzeitig den Betrieb eingestellt, woraufhin alle ratlos auf den Flur gelaufen waren, »das muß ein Irrtum sein«, hatte Martin Klapp gerufen, »es ist doch alles bezahlt«, und Wolli, der sogleich den Sicherungskasten geprüft hatte, hatte gesagt, daß er alles glaube, aber nicht das und daß er mal die Belege sehen wolle, und dann hatte es einiges an Beschimpfungen gegeben, und dann war Mike, der neuerdings aus der Wohnung ganz und gar nicht mehr wegzudenken war, aus der Küche gekommen und hatte gesagt, daß außerdem die Dusche kaputt sei, und Martin Klapp hatte ihm gesagt, daß ihn, Mike, das gar nichts anginge, weil er, Mike, hier eigentlich überhaupt nichts zu suchen hätte, und Ralf Müller hatte gesagt, daß ihm das langsam alles zu asozial würde, und dann hatten sich Martin Klapp und Ralf Müller über das Thema Katzenstreu in die
Haare bekommen, und so war das immer weitergegangen, es war ein einziger Kampf jeder gegen jeden und alle gegen alle gewesen, nur Frank war losgegangen, Kerzen zu kaufen, Kerzen für alle wohlgemerkt, irgend jemand muß ja Frieden stiften, und da sind Kerzen nicht das Verkehrteste, hatte er gedacht, und mittlerweile hatten sich auch wenigstens Ralf Müller und Martin Klapp wieder vertragen und waren zusammen zu der Versammlung eines neuen Komitees gegen das Gelöbnis im Weserstadion gegangen, während Wolli und seine Kumpels irgendwo anders ihrem rätselhaften Treiben nachgingen.
Unten auf der Straße war ordentlich was los, Jubel, Trubel, Heiterkeit, dachte Frank, dessen Stimmung sich gleich ein bißchen aufhellte, in so einer Wohnung kann man abends nicht bleiben, dachte er, und so eine Sache wie die mit Sibille darf man auch nicht in der Schwebe lassen, dachte er obendrein und nahm sich vor, bei ihr anzurufen und zu sehen, wie die Sache mit ihnen beiden stand. Direkt bei ihr vorbeizugehen, traute er sich nicht, er wußte ja nicht, ob ihr das überhaupt recht war, da ist telefonieren erstmal besser, dachte er und betrat die nächste Telefonzelle, die war am Sielwall, und das Telefon darin war kaputt, deshalb ging er gleich wieder raus und die Straße Vor dem Steintor hinunter, immer weg von der Weberstraße, wo Sibille wohnte, je weiter man weg ist, desto mehr ergibt das Telefonieren einen Sinn, dachte er, obwohl es andererseits auch seltsam ist, dachte er, wenn der Weg zum Telefon weiter ist als der Weg zu dem, den man anrufen will, da ist dann auch irgendwas nicht ganz astrein, dachte er und fand schließlich eine Telefonzelle, die funktionierte, und er wählte ängstlich ihre Nummer, die er sich am Morgen, als sie noch geschlafen hatte, von ihrem Telefon abgeschrieben hatte, denn tatsächlich hatte sie auf ihrem Telefon auf den kleinen Zettel hinter der Wählscheibe ihre Nummer geschrieben, so wie es sich gehörte, und außerdem noch die Nummern 112 für Feuerwehr und 110 für die Polizei, das hatte ihn irgendwie besonders berührt.
Jedenfalls wählte er jetzt ihre Telefonnummer, und nach einigem Klingeln hob tatsächlich jemand ab und sagte »Hallo«, und er hörte gleich an der Stimme, daß es Sonja war und nicht Sibille. Er fragte nach Sibille, und Sonja sagte, sie sei nicht da, und sie wisse auch nicht, wann sie wiederkäme. Er legte auf und war ratlos. Erstmal eine rauchen, dachte er und drehte sich eine Zigarette, und dann ging er langsam die Straße Vor dem Steintor hinunter und überlegte, was er jetzt mit dem angebrochenen Abend anfangen sollte. Vielleicht sollte man ein bißchen Spazierengehen und dann noch einmal anrufen, dachte er, als er an die Lüneburger Straße kam und auf ihr in Ermangelung einer besseren Idee zur Weser hinaufging, einfach ein bißchen Spazierengehen und dann noch einmal anrufen, dachte er, obwohl er Spaziergänge haßte, aber die Zeit zwischen zwei Anrufversuchen totzuschlagen, haßte er auch, da
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