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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

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Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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als gestern.«
    »Ja?« sagte Frank.
    »Ja, echt mal«, sagte sein Bruder.
    »Soso«, sagte Frank und dachte an Sibille, und wie er sie heute morgen gegen fünf verlassen hatte, und wie er dann durch das ausgestorbene Ostertorviertel geschlendert war und dabei ständig versucht hatte, sich einen Reim auf alles zu machen. Es ist eine seltsame Sache, dachte er, es ist, wie wenn man schwebt, und solange man nicht darüber nachdenkt und nicht darüber spricht, dachte er, fällt man auch nicht auf den Boden. »Soso«, wiederholte er.
    »Ich muß gleich weiter, Frankie«, sagte sein Bruder, »ich muß gleich noch jemanden treffen, und dann fahren wir wieder zurück, Karl und ich. Mal sehen. Vielleicht klappt ja was, vielleicht klappt ja das mit dem Krankenhaus oder mit dem Stipendium, was weiß ich, mal sehen … «
    »Stipendium?«
    »Ja, ja, andermal«, sagte sein Bruder und gähnte. Dann rieb er sich die Augen. »Das ist noch nicht spruchreif. Ich wollte eigentlich nur sagen: Falls mal was ist, kannst du jederzeit nach Berlin kommen. Echt. Egal wann. Meine Adresse weißt du ja. Aber ruf vorher kurz durch, damit ich auch da bin. Ich glaube, das würde dir da gefallen, ehrlich. Hättest du schon lange mal machen sollen.«
    »Okay«, sagte Frank. »Mal sehen.«
    »Jederzeit«, schärfte sein Bruder ihm ein.
    »Vielleicht mach ich das ja wirklich mal«, sagte Frank, aber er war nicht so überzeugt davon. Jetzt, wo alles anders war, war ihm nicht danach wegzufahren.
    »Mach das mal. Würde dir gefallen.«
    »Okay«, sagte Frank.
    »Gehen wir«, sagte sein Bruder.
    Sie tranken aus und gingen hinaus. Draußen wurde es langsam dunkel, und es pfiff ein starker, kalter Wind durch die Berliner Freiheit.
    »Wird bald Weihnachten«, sagte Franks Bruder und knöpfte seinen Mantel zu. Dann lachte er komisch.
    »Erstmal Freimarkt«, sagte Frank.
    »Ja, hatte ich vergessen. Daran siehst du, daß ich kein Bremer mehr bin.«
    »Würde ich nicht sagen«, sagte Frank. »Solange du noch über Fischgeschäfte redest … «
    »Laß uns bloß hier abhauen«, sagte sein Bruder, »im Dunkeln deprimiert mich das hier immer.«
35.  BREITES BÜNDNIS
    Als Frank endlich wieder zu Hause war, war er unruhig und nervös. Er versuchte sich damit zu beruhigen, daß er Mommsens Römische Geschichte wieder einmal ganz von vorne zu lesen anfing, das hatte bisher eigentlich noch immer geholfen, aber heute abend wurde das nichts, er war nicht bei der Sache, er verstand nicht, was er da las, und so sehr er auch dem Umstand, daß er bei Kerzenlicht lesen mußte, weil es in der Wohnung seit neuestem keinen Strom mehr gab, die Schuld dafür geben wollte, daß ihm die schönen, klangvollen Worte Theodor Mommsens immer wieder durch die gedanklichen Lappen gingen, so sehr mußte er sich doch eingestehen, daß es wohl eher damit zu tun hatte, daß er immer wieder an Sibille denken mußte und sich dabei immer wieder die eine Frage aufdrängte: ob er sich nun endlich bei ihr melden sollte oder nicht. Das war ein schwieriges Problem, denn es war ja nichts ausgemacht, er hatte sich morgens um fünf aus dem Haus geschlichen, da hatte sie noch geschlafen, er dagegen hatte noch überhaupt nicht geschlafen gehabt und war auch, nachdem er sie verlassen hatte, noch wach geblieben und ein bißchen durch die Gegend gelaufen, um endlich müde zu werden, erst dann hatte er sich für einige Stunden hinlegen können, bevor er mittags schon wieder bei seinen Eltern hatte sein müssen, und jetzt, am Abend, glotzte er sinnlos in Mommsens Römische Geschichte, die er überhaupt nicht mehr kapierte, obwohl das immer sein Lieblingsbuch gewesen war, und das war dann auch irgendwie bitter und ein unhaltbarer Zustand, fand er.
    Bitterer war noch, daß er auf die Frage, ob es in Ordnung war, wenn er sich jetzt bei Sibille meldete, oder ob es dafür vielleicht noch zu früh oder sogar schon wieder zu spät war, keine Antwort wußte. Falsch war es auf jeden Fall, da war er sich sicher, hier weiter bei Kerzenschein zu sitzen und in dieses Buch zu gucken, ein Buch, das ihm jetzt auf keinen Fall weiterhelfen würde, Sibille ist das eine, dachte er, und die römische Geschichte, gerade die frühe römische Geschichte, vor allem aber Mommsens Römische Geschichte ist was ganz anderes, dachte er, es bringt überhaupt nichts, sich mit Mommsens Römischer Geschichte zu beschäftigen, wenn man eigentlich die ganze Zeit an Sibille denkt, dachte er, das hat die römische Geschichte und speziell Mommsens

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