Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
paßt das ganz gut zusammen, dachte er. Oben auf dem Deich wehte es ziemlich heftig, und ein leichter Regen setzte ein. Frank überquerte die Straße und ging hinunter zum Fluß, wobei er auf dem glitschigen, abschüssigen Rasen des Deiches einmal ausrutschte, geschieht mir recht, dachte er mit grimmiger Befriedigung, wer so einen Scheiß wie Spazierengehen macht, der sollte dabei mal ruhig ordentlich auf den Arsch fallen. Dann war er am Fluß, dessen Wasser so hoch stand, daß von der Uferbefestigung nichts mehr zu sehen war, es schwappte schon bedrohlich an den Rasen, so daß Frank sich an eine überlaufende Badewanne erinnert fühlte. Wenn man hier jetzt noch einmal ausrutscht, dachte er, dann rutscht man gleich rein, und auch das wäre nur die verdiente Strafe für einen, der bei so einem Wetter spazierengeht, wer sowas macht, der ist pervers, der frißt auch kleine Kinder, dachte er und kämpfte sich frierend flußabwärts gegen den immer stärker werdenden Wind und den Regen voran, bis er nach langer Zeit unter die erste Weserbrücke kam.
Dort traf er Wolli und einige seiner Kumpels. Sie hatten ein kleines Feuer angezündet, das sie mit ihren Körpern vor dem Wind schützten und mit Pappkartons fütterten, wozu sie Bier tranken und Musik aus einem Kassettenrecorder hörten.
»He Wolli«, sagte Frank. »Was macht ihr denn hier?«
»Mal ein Feuer«, sagte Wolli. Er saß auf einem Stück Karton und rückte ein wenig darauf beiseite. »Setz dich doch«, sagte er. Frank setzte sich neben ihn und guckte ins Feuer, das ziemlich klein war, dafür aber ordentlich qualmte.
»Was soll das sein, ein Schnellkurs in Wie-werde-ich-ein-Penner?« fragte er.
»Nee, wir hatten da bloß mal so Bock drauf«, sagte Wolli.
Frank nahm sich eine Dose Bocholt Pils aus einer Tüte, die neben Wolli lag. »Ich nehm mir mal eins, ja?« sagte er.
Keiner hatte was dagegen. Sie schwiegen eine ganze Zeitlang und starrten in das kleine qualmende Feuer, dann sagte Wolli zu Frank: »Bist du eigentlich nächsten Donnerstag bei der Vereidigung mit dabei?«
»Nein«, sagte Frank. »Ich hab’s verweigert.«
»Verweigert? Ich denke, die haben dich schon abgelehnt!«
»Nein, das Gelöbnis verweigert.«
»Ach so, ich meinte bei der Demo.«
»Nein. Ich hab das Gelöbnis verweigert. Die wollten, daß ich da mitmache.«
»Echt?« sagte Wolli beeindruckt. »Dann wärst du da drinnen gewesen und wir da draußen, ja?«
»Ja. Kann man aber verweigern.«
»Und bei der Demo?«
»Nee«, sagte Frank.
»Wir gehen da alle hin«, sagte Wolli, »Das wird n Riesending.«
»Ralf und Martin sind heute abend bei dem Komitee«, sagte
Frank.
»Was für ein Komitee?«
»Gegen die Vereidigung«, sagte Frank. »Da gibt’s jetzt irgendein Komitee.«
»Das sieht denen ähnlich!« Wolli schnaubte verächtlich. »Komitee. Was brauchen wir ein Scheißkomitee?! Ich geh doch nicht zu so ‘nem Scheißkomitee und sitz da mit Ralf und Martin im selben Raum, das ist ja wohl das Letzte, wegen jedem Scheiß brauchen die immer ein Komitee!«
»Ihr solltet euch mal wieder vertragen«, sagte Frank.
»Darum geht’s doch schon gar nicht mehr«, sagte Wolli.
»Worum dann?«
»Die wollen uns aus der Wohnung rausekeln, das sag ich dir. Das mit dem Strom ist doch auch so eine Sache. Das haben die absichtlich gemacht.«
»Glaube ich nicht«, sagte Frank. »Das trifft ja alle.«
»Und ob! War das eigentlich dein Bruder da neulich?«
»Ja.«
»Aha«, sagte Wolli. »Und der wohnt in Berlin, ja?«
»Ja.«
»Aha«, sagte Wolli wieder und seufzte. Und Frank war es, als hörte er die anderen, die die ganze Zeit nur stumm auf den bedrohlich heranschwappenden Fluß starrten, ebenfalls seufzen.
»Warum hockt ihr eigentlich immer am Fluß«, fragte Frank. »Ich meine, im Sommer kann ich das ja noch verstehen, aber im Winter ist das ganz schön hart, ich meine, unter der Brücke, das ist wirklich fast Pennerkram.«
»Ich mag das hier«, sagte Wolli. »Ich guck da gerne drauf.«
»Wieso?«
»Ich weiß nicht«, sagte Wolli.
»Kann ich dir sagen«, sagte Mike, der wie die anderen bisher geschwiegen hatte, überraschend. »Weil er sich bewegt. Weil er nie stillsteht. Und weil er aus Bremen auch gleich wieder abhaut.« »Wir wollen auch bald mal abhauen«, sagte Wolli, »das wird jetzt langsam mal Zeit.«
»Wohin denn?« fragte Frank.
»Nach Berlin natürlich«, sagte Wolli, »wohin denn sonst?«
»Was willst du da denn machen?«, sagte Frank. »Was kannst du in Berlin
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