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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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Fackel vorbei und gab ihnen Feuer.
    So stand Frank dann die nächsten anderthalb Stunden dort herum, mit der brennenden Fackel in der Hand, die im Nieselregen, der weder stärker noch schwächer wurde, leise zischte, und weiter vorne lief ein Programm aus Ansprachen und Musik und wieder Ansprachen ab, von dem er wenig verstand, denn dort, wo man ihn hingestellt hatte, kam nur wenig davon an, es war alles auf das Publikum unter der überdachten Tribüne gerichtet, und was er verstand, klang bitter und verbissen, es war mehr der Ton als der Inhalt, der ihn erreichte. Und das Heulen des Windes wurde lauter, es war ein komisches Heulen, und es dauerte lange, bis er begriff, daß es gar nicht das Heulen des Windes war, das er da hörte, sondern vielmehr Polizei- oder Feuerwehrsirenen, die in der Ferne, außerhalb des Stadions, ihr Lied sangen, sehr leise zwar und allein kaum wahrnehmbar, in ihrer Vielzahl aber beunruhigend dicht im Klang, so dicht, daß ihre einzelnen Melodien nicht mehr zu erkennen waren, es ist ein Cluster, dachte Frank, sich eines längst vergessen geglaubten Begriffs aus dem Musikunterricht erinnernd, und irgendwann stiegen neben dem Stadion auch noch Leuchtkugeln auf und man hörte Fetzen von Megafon-Ansprachen und Geschrei, die sich in das Lied der Sirenen hineinmischten, aber alles nur ganz leise, es war wie ein Hintergrundrauschen, wie die beunruhigende Mahnung, daß da draußen, jenseits des Stadions, noch ein ganz anderes Programm lief als das hier drinnen, wo man nach langer Zeit endlich mit den Ansprachen fertig wurde und zur Sache kam. Die Rekruten wurden mit Befehlen eingedeckt, standen still und murmelten die Gelöbnisformel, dann gab es Musik, dann wieder Lautsprecherdurchsagen, Kommandos, das zog sich hin, und die ganze Zeit lief dazu jener andere Sound mit, der Frank sagte, daß seine Freunde und ihre Genossen dort draußen irgendwo am Werk waren, beziehungsweise ExFreunde und Ex-Genossen, wie er dachte, als er dort stand und stand und nichts mitkriegte, es wird langsam alles Ex, dachte er, nicht nur die Freunde und deren Genossen, auch Ex-Wohnung, Ex-Kompanie, vielleicht sogar Ex-Freundin, dachte er, obwohl, das vielleicht gerade nicht, dachte er, dazu hätte sie erst einmal eine Freundin sein müssen, Ex-
    Kriegsdienstverweigerer ist man auch schon, dachte er, irgendwann ist alles Ex, und was bleibt dann noch? fragte er sich, aber er wußte keine Antwort und wollte in diesem Moment auch keine, wegen ihm konnten sie jetzt noch stundenlang mit diesem Quatsch weitermachen, er glitt hinüber in eine eigenartige Stimmung, fühlte sich leicht und leer, wie in einer Zwischenwelt, einer unwirklichen, flutlichtbeleuchteten Zone mit seltsamen Farben und Tönen, in der es
    keine Zeit gab, und wo ihn der Rest der Welt nichts mehr an g in g.
    Dieses Gefühl half ihm über die Zeit, er versank so vollständig in Trance, daß er nicht einmal registrierte, wie ihm mittendrin die Fackel ausging, erst als der Hauptfeldwebel mit einer neuen kam, sie ihm brennend in die Hand drückte und besorgt fragte, ob alles mit ihm in Ordnung sei, reagierte er mit einem wortlosen Nicken. Und kurz darauf war die Sache vorbei. Die Rekruten marschierten ab, und der Hauptfeldwebel machte wieder die Runde, diesmal mit einem Eimer Wasser, in dem Frank seine Fackel löschen konnte. Dann sammelte der Hauptfeld sie alle in umgekehrter Reihenfolge wieder ein und ging mit ihnen zurück zu ihren Räumen.
    »So, Männer«, sagte er ernst und, wie es Frank schien, plötzlich auch wieder nüchtern, »hier wartet ihr erstmal wieder. Wir können noch nicht abrücken. Das muß der Reihe nach gehen. Außerdem ist da draußen einiges los, Manno-mann.«
    »Was denn?« rief Baumann. »Was ist denn los, Hauptfeld?«
    »Krawall, Baumann. Krawall, das ist los«, sagte der Hauptfeldwebel, und es klang bitter. »Die hauen sich da draußen die Schädel ein, Baumann. Die müssen das erst alles geräumt haben, vorher geht das für uns nicht weiter.«
    Sie gingen wieder in ihre Räume und warteten eine Stunde, und dann noch eine, saßen müde und reglos auf ihren
    Stühlen und sagten gar nichts mehr.
    Dann endlich kam der Hauptfeld und gab den ersehnten Befehl zum Abmarsch mit den Worten: »Auf geht’s! Laßt uns bloß sehen, daß wir hier rauskommen, Männer!«
    »Hauptfeld?!« rief Baumann.
    »Was wollen Sie denn jetzt schon wieder, Baumann?« »Sollen wir Barett tragen oder Stahlhelm.«
    »Tja«, sagte der Hauptfeldwebel. »Tja …«, er

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