Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
warum Martin Klapp umziehen mußte, »Sie brauchen den Platz für das Blag«, hatte er zu Frank gesagt, »dabei sind die Dinger so klein«, er hatte mit den Händen gezeigt, wie klein, »was brauchen die schon für Platz.« Die Frau war so dermaßen schwanger, daß Frank vom obersten Absatz der Treppe zum Haus einen Schritt hinunterging, als sie vortrat. Er sah von unten zu ihr hoch und fragte, ob Martin Klapp da sei.
Sie lächelte, lehnte sich an den Türpfosten, verschränkte die Hände unter ihrem Bauch und sagte »Nein, er ist in seiner neuen Wohnung, renovieren«, worauf Frank fragte, wo diese neue Wohnung genau sei.
»Was weiß ich?« sagte sie und rief dann nach hinten »Wolfgang, weißt du, wo die neue Wohnung von Martin ist?«
Wolfgang trat hinter sie und schaute über sie hinweg auf Frank hinunter.
»Keine Ahnung«, sagte er und lächelte ebenfalls. Frank lächelte zurück, er hatte zwar keine Lust zu lächeln, aber er wollte auch kein Spielverderber sein.
»Wenigstens ungefähr?« schlug er vor.
»Warte mal …« Der Mann setzte ein nachdenkliches Gesicht auf und hielt dabei seine Frau von hinten an den Schultern fest, als befürchtete er, sie könne vornüber kippen. »Überm Cinema«, sagte er schließlich. »Die ist überm Cinema. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Das ist doch schon mal allerhand«, sagte Frank und verabschiedete sich. Als er aus dem Vorgarten ging, sah er sich noch einmal um, und da die beiden dort immer noch lächelnd standen und ihm nachsahen, winkte er ihnen zum Abschied noch einmal zu. Sie winkten zurück. Er fragte sich, ob sie immer noch im KBW organisiert waren, wahrscheinlich nicht, dachte er, und wenn, dann nicht mehr lange. Sie sahen nicht mehr so richtig nach Weltrevolution aus, fand er, und sie hatten schon damals, bei der Demo, keinen sehr enthusiastischen Eindruck auf ihn gemacht. Er nahm sich vor, Martin Klapp danach zu fragen. Aus irgendeinem ihm selbst nicht bekannten Grund interessierte ihn sowas.
Das Cinema Ostertor war ein Kommunal- und Programmkino am Ostertorsteinweg, fast an der Sielwall-Kreuzung, dort, wo immer die Junkies herumlungerten. Links davon war ein Hauseingang, der zu den darüberliegenden Wohnungen führte. Im Treppenhaus roch es nach Urin und Schimmel. Frank ging langsam die Treppen hoch, studierte die Klingelschilder und horchte ein bißchen. Im zweiten Stock gab es kein Klingelschild, dafür aber Stimmen hinter der Tür und kratzende Geräusche. Er klopfte, und Martin Klapp öffnete ihm.
»Frankie«, sagte er kein bißchen überrascht. Er trug einen blauen Overall und hatte einen Spachtel in der Hand. »Gut, daß du kommst. Wir ziehen gerade die Tapeten ab.«
»Aha«, sagte Frank und trat ein. Im Flur der Wohnung standen auch Ralf Müller und Achim, der Ex-Genosse, der beim Bund gewesen war. Auch sie trugen alte Klamotten und hatten Spachtel in der Hand. Ralf Müller beachtete ihn nicht, sondern kratzte eifrig mit dem Spachtel an der Wand herum. Frank kam das ziemlich sinnlos vor. Alles was Ralf Müller erreichte, war, daß sich kleine Tapetenfetzen lockerten, an denen er von Zeit zu Zeit herumzupfte.
»Hallo Frankie«, sagte Achim. »Und du bist jetzt beim Bund?«
»Ja«, sagte Frank.
»Wie viele Tage?«
»Gerade erst angefangen«, sagte Frank.
»Ich hol dir ein Bier«, sagte Martin Klapp und ging im einen anderen Raum.
»Und? Wie läuft’s?« fragte Achim.
»Beschissen«, sagte Frank. Viel mehr wollte er mit Achim darüber eigentlich nicht reden, er kannte ihn ja kaum. Achim war in dieselbe Schule wie er und Ralf Müller und Martin Klapp gegangen, in das Gymnasium an der Kurt-Schumacher-Allee, aber er war zwei Klassen über ihnen gewesen, und er hatte auch die Zelle des Kommunistischen Oberschülerbundes geleitet, in der die anderen beiden damals organisiert gewesen waren. Frank hatte darauf keine Lust gehabt und kurze Zeit später sowieso die Schule verlassen.
»Ja, Bund ist bitter«, sagte Achim und kratzte auch ein bißchen an der Wand herum. Er wirkte viel älter als die anderen beiden. Die zwei Jahre allein können es nicht sein, dachte Frank, vielleicht liegt’s am Schnurrbart, oder daran, daß er gedient hat, das macht alt, dachte er, das sieht man an Fahnenjunker Tietz. Frank wußte nicht, ob Achim immer noch organisiert war. Vielleicht ist er noch dabei und will mich an-agitieren, dachte er boshaft, gleich will er mir eine
KVZ verkaufen. Er wußte nicht genau, warum er plötzlich so sauer auf Achim war, aber das war er,
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