Neue Zeit und Welt
Gemach.
In der ganzen Stadt gab es vielleicht noch hundert Wesen, und sie hatten sich alle versammelt: Vampire, Neuromenschen, Unglücksfälle, Zerberusse, Minotauren, sogar ein paar Menschen. Lange Tische, aneinandergestellt, bildeten ein großes Viereck; in der Mitte fanden die Vorführungen statt. Es war eine Nacht wildester Ausschweifungen.
Zuerst kam die Mahlzeit. Sofort, als alle saßen, wählte die Kind-Königin fünf Gäste als Speisen aus. Bevor die Opfer fliehen konnten, wurden ein Zerberus, zwei Minotauren, ein Mensch und eine Riesenratte von Ninjus Wachen zerrissen. Manche Stücke warf man in das große Feuer, um sie zu rösten, das andere wurde roh verschlungen.
Für die Vampire wurden Menschen herumgereicht – auf dem Tisch von Sire zu Sire gezerrt wie Kornsäcke oder, genauer, wie geblähte, gluckernde Weinschläuche, an denen man saugte, bis sie leer waren. Die toten, ausgesaugten, fahlweißen Menschen wurden dann auf den Boden geworfen, bevor man zum nächsten griff. Die Luft war erfüllt von Stöhnen, Kreischen, Gelächter und Schluchzen, das Blut spritzte, die Wellen der Fröhlichkeit schlugen hoch.
Man griff nach Drogen aller Art, Opium, Alkohol, Kokain, Ginseng. Der Lärm wurde immer größer, die Abscheulichkeiten waren Legion. Das war das schwarze Herz der Stadt, das waren die Überlebenden, verkommen genug, um neben dem Chaos einherzureiten.
Während des ganzen Festes gab es in der Mitte des Raumes Vorführungen, meist spontaner Art. Ein Unglücksfall zerrte einen halb ohnmächtigen Menschen in die Arena, biss dem Jungen ein Loch in den Bauch und vollführte groteske Akte sexueller Art, noch länger, nachdem der Junge tot war. Ein Vampir sprang herbei, tötete den Unglücksfall unter dem Jubel der Zuschauer, schnitt dem toten Jungen das Herz aus dem Leib und verschlang es. Dann rief er eine seiner Haremssklavinnen herbei und bestieg sie von hinten, zwang sie, an den Tischen entlangzuwanken und ihren Hals jedem anzubieten, der sich bedienen wollte.
Hier und dort im Saal kam es zu Zusammenstößen. Der Verlierer wurde von anderen niedergemacht und den Nachspeisen zugesellt.
Das Kind war bester Laune, verteilte Gunstbeweise, ließ sich umwerben. Sie rauchte und trank und kaute und schwitzte. Sie befahl die scheußlichsten Wesen zu sich, um ihre Gier zu befriedigen, manchmal tötete sie aus einer Augenblickslaune heraus.
Osi saß zur Linken der Kind-Königin, dumpf und nüchtern. Ab und zu trank er aus einem kostbaren Kelch voll Blut, obwohl er nicht wirklich durstig war. Seine Gedanken weilten anderswo – bei seinen zerstörten Hoffnungen, vereitelten Visionen, verlorenen Geliebten; das verfallene Reich seiner Jugend. Er fühlte sich plötzlich uralt.
Dann sah er Vera. Vera, der letzte Mensch, dem er vertraute, schon so lange aus seinem Gesichtskreis verschwunden. Sie kam durch eine Seitentür herein, in das lärmende Getümmel des Festes. Er stand halb auf, um sie zu begrüßen, aber sie bemerkte ihn nicht, ging sofort zu Ugo, warf sich lasziv auf seinen Schoß und bot ihm in ordinärster Weise den Hals. Auf die ordinärste Weise bediente sich Ugo.
Osi sank zurück, aus seiner Versunkenheit gerissen. Dies war also das Ende. Was hatte er hier noch zu suchen?
Er ließ sich noch etwas zu trinken geben, trat mit dem Gefäß in das von den Tischen umrahmte Viereck, dem Vogel-Kind gegenüber. Er hob den Kelch an die Lippen und trank: ein Gemisch aus Blut, Tränen und Rum. Er reichte dem Kind das Gefäß. Sie leerte es und warf es zu Boden.
Osi begann zu tanzen.
Langsam drehte er sich im Kreis, ließ Schleier wehen und flattern. Seine Flügel öffneten und schlossen sich, verbargen, enthüllten. Das betrunkene Kind beobachtete ihn gebannt, als er sich berührte, lockend, vieldeutig, langsam im Kreis tanzte, zu ihr herankam, sie mit seinem Blick festhielt. Er wälzte sich vor ihr auf dem Boden, rückte noch näher, wand sich, bäumte sich auf in geilem Rhythmus; sie ließ ihn nicht aus den Augen, während er sich umherwarf, lockte und flüsterte …
Lautlos stiegen Fleur und Elspeth durch die Öffnung in der Wand, wo einst die Kabel der Königin hindurchgegangen waren, drei Meter hinter dem Thron. Elspeth hatte ein kurzes Breitschwert in der Hand, Fleur ein Messer. Verstohlen schlichen sie von hinten an den Thron heran, wo das Kind saß und Osis Tanz fasziniert verfolgte.
Elspeth reckte sich empor, hob das Schwert hoch über den Kopf der Kind-Königin. Bis von den Anwesenden jemand
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