Neues Glück für Gisela
Brotpudding gemacht. Brotpudding mit Himbeersoße – Himbeeren aus dem Garten, versteht sich – essen die Jungen besonders gern. Wenn wir Kaninchenbraten haben – von den Kaninchen Ihres Freundes Rolf - , wird von den Knochen Suppe gekocht. Wir sind rationell, wir verwerten alles, verstehen Sie. Im Frühjahr sammeln die Jungen die ersten zarten Geißfußtriebe. Kennen Sie Geißfuß? Das ist das schlimmste Unkraut der Wiesen, aber die ersten zarten Triebe ergeben eine Suppe, die mindestens so gut ist wie Spinatsuppe. Wir verwenden gedünsteten Sauerampfer und Löwenzahn zu Salat und trocknen Hagebutten, da haben die Kinder den ganzen Winter Hagebuttentee. Ja, das alles gibt viel Arbeit, aber wir haben auch die Befriedigung, daß keiner der Jungen Untergewicht hat, keiner hat schlechte Zähne oder ist blutarm. Wir lassen sie jedes Jahr ärztlich untersuchen.“
Gisela war ganz Auge und Ohr. Die Bewunderung für diesen Mann stieg mit jedem Wort, das er sprach.
„Aber“, fragte sie, „wenn die Kinder hier eingeliefert werden, da gibt es wohl dies und das zu reparieren?“
„Ja, leider, das ist oft der Fall. Aber die meisten gehen ja in die Schule, und da bekommen sie zum Beispiel Zahnbehandlung gratis. Und wir geben ihnen eine extra Dosis vom Vitamin C, bis sie sich etwas erholt und an die Kost hier gewöhnt haben. Das erfordert eine gewisse Umstellung und Eingewöhnung, besonders wenn sie mit Kaffee und Hefegebäck aufgefüttert worden sind, ehe sie zu uns kamen.“
„Wie bitte?“
„Doch ja, das kommt vor. Wir haben manchmal Jungen gehabt, die in der ersten Zeit in Hungerstreik getreten sind. Aber das gibt sich immer nach einer gewissen Zeit. Das Beispiel der anderen hilft natürlich, wissen Sie.“
„Ja, aber das kann nicht immer leicht sein“, sagte Gisela langsam. „Denn es sind wohl nicht immer bloß die Zähne und der Magen, die verdorben sind, ehe die Kinder hierherkommen.“
„Ach nein, es kommen schon noch andere oft unvermutete Schwierigkeiten hinzu. Nun ist ja allerdings dieses Heim ein Heim für normale Kinder. Es ist kein Heim für verbrecherisch Veranlagte. Glücklicherweise! Unsere Jungen sind entweder Vollwaisen oder sie haben einen Elternteil verloren, oder sie sind uneheliche Kinder. Kurz gesagt, Kinder, die entweder kein richtiges Heim haben, oder Kinder, deren Mutter oder Vater sie nicht daheim haben können. Es gibt viele unendlich tragische Schicksale unter ihnen, glauben Sie mir. Und wissen Sie, oft sehe ich mir meine Jungen an.
Manche sind so frisch und aufgeweckt, und dann denke ich daran, daß eigentlich fast alle unerwünschte Kinder sind, geboren von Müttern, die sie unter Sorgen und Verzweiflung getragen haben, Mütter, die vielleicht vergebens versucht haben, die Schwangerschaft zu unterbrechen.“
„Bitte, reden wir nicht mehr davon“, flüsterte Gisela.
Willi sah sie verwundert an. Ihr Gesicht war blaß und hatte einen gequälten Ausdruck.
„Aber meine Liebe“, sagte er etwas unsicher, „macht das denn einen so starken Eindruck auf Sie?“
Gisela schluckte, versuchte ein Lächeln hervorzubringen, aber es wurde nur eine angestrengte Grimasse daraus.
„Ich… ich bin ja selbst eine Frau. Ich finde es so furchtbar, daß es Frauen gibt, die ihr Kind, ihr kleines, unschuldiges Kind als etwas Feindliches betrachten, ehe es geboren ist.“
Willi hielt den Blick auf sie gerichtet. „Natürlich haben Sie recht, es ist furchtbar. Aber wenn man so lange wie ich in diesem Beruf gestanden und so unendlich viele traurige Schicksale zu sehen bekommen hat, da wird man vielleicht hartgesotten.“
„Nein!“ sagte Gisela. „Nein, Sie sind nicht hartgesotten. Sie sind bloß ruhig und können vernünftig über diese Dinge reden, aber ich bin hysterisch, das ist es. Ich weiß es.“
„Quatsch“, verwies Willi. „Sie sind durchaus nicht hysterisch. Sie haben eben ein großes und warmes Herz für Kinder, mit anderen Worten, Sie sind eine gesunde, normale Frau?“
Gisela erhob sich schroff, trat ans Fenster, blieb dort stehen und sah hinaus in den Garten. Sie schluckte und schluckte und brachte es fertig, die Tränen zurückzuhalten.
Normale Frau! Ach Gott, wenn er wüßte, wie unnormal sie war, gerade sie, die doch Kinder so liebte, die voll unverbrauchter Liebesfähigkeit war, sie, die es nicht länger vor sich selber verbergen konnte, wieviel dieser Mann für sie bedeutete – und die niemals ein Kind in ihrem Schoß würde tragen können. Die kein Recht hatte, sich
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