Neues Glück für Gisela
sie hielt fest – mit der Kraft der Verzweiflung.
Dann ging es langsamer. Ihr Gewicht wurde zuviel für das Pferd und plötzlich stand es still.
Dann war Rolf an ihrer Seite. Sie merkte, wie ihr die Zügel aus den blutenden Händen genommen wurden und hörte, wie aus weiter Ferne eine heisere, gequälte, tränenerstickte Stimme: „Fräulein Ryssel, Fräulein Ryssel!“
Dann wurde es schwarz um sie.
Viele Laufschritte, rasche, aufgeregte Stimmen. Ein Arm, der unter ihren Nacken gelegt wurde. Jemand hob sie auf, trug sie.
Die Stimmen verschwanden.
Ihr Körper brannte und schmerzte. Sie wollte etwas sagen, die Lippen bewegten sich, aber es kam kein Laut hervor. Dann blieb alles wieder weg. Wieder Schritte. Schritte auf einem Holzfußboden. Der schmerzende Körper kam zur Ruhe auf einer weichen Unterlage. Rasche Anordnungen.
Dann drang endlich eine Stimme in ihr Bewußtsein. Worte wurden gestammelt, und sie faßte sie auf: „Gisela, Gisela! Hörst du mich, Liebste? Gisela, mein kleines Mädchen… Liebe… kannst du mir antworten? Gisela, kleine Gisela…“
Sie öffnete die Augen. Es kostete sie eine furchtbare Mühe, und sie mußte sich anstrengen wie zu etwas schrecklich Großem und Schwierigem, um die Worte zu formen: „Ja… Willi…“
Kaltes Wasser ins Gesicht. Behutsame Hände, die ihre zerfetzten Kleider lösten.
„Es ist… nichts… Willi…“ Dann kam wieder seine Stimme, diesmal ruhiger, gedämpft, mild.
„Glaubst du, daß du etwas gebrochen hast? Kannst du sagen, wo es am meisten weh tut?“
„Überall, es brennt…“ Dann kam ihr Bewußtsein ganz zurück, und ihre Augen trafen die Willis. Sein Blick war angsterfüllt, und der Schweiß rann ihm von der Stirn.
Da erinnerte sie sich. Sie versuchte sich aufzurichten, fiel aber mit einem Stöhnen zurück.
„Willi, wo ist Rolf?“
„Rolf ist im Schlafsaal. Er ist ganz unverletzt. Liebe kleine Gisela, du hast Rolfs Leben gerettet.“
„Aber nein, nein, ich habe bloß versucht, das Pferd zum Stehen zu bringen.“
Sie schloß wieder die Augen, und dann fühlte sie, daß sich jemand über sie beugte und sie auf die Stirn küßte.
Da hob sie ihre schmutzige, blutige rechte Hand und strich behutsam über den zerrauften, verschwitzten Kopf, der über sie gebeugt war.
„Der Himmel mag wissen, woraus Sie gemacht sind“, sagte der Arzt, „Sie haben noch nicht einmal eine Rippe gebrochen, soviel ich sehen kann. Aber am Körper sehen Sie aus wie eine Landkarte oder wie die schwedische Flagge.“
Gisela lächelte, ein angestrengtes kleines Lächeln.
Sie war gewaschen und verbunden und lag nun bekleidet mit dem Nachthemd der Kinderschwester im Krankenzimmer von Siebeneichen.
Verbände hatte sie überall. Der Kopf war verbunden, ihre Hände glichen zwei weißen riesengroßen Katzenpfoten, die eine war mit zwei Stichen genäht, und ihr rechter Schenkel war auch mit Stickerei versehen. Sie war tapfer gewesen und hatte keinen Laut von sich gegeben, obwohl es sehr weh tat.
Jetzt war es still um sie herum. Die Kinderschwester hatte assistiert, als der Doktor da war. Dann hatte sie Gisela Obstsaft eingeflößt, die Kissen gut zurechtgeschüttelt und die elektrische Klingel auf das Deckbett gelegt. Das Krankenzimmer war auf Siebeneichen der einzige Raum, in dem sich so ein Luxus wie eine Klingel befand. Gisela glaubte, daß sie schon imstande sein würde, mit einer ihrer eingewickelten Katzenpfoten daraufzudrücken.
Jetzt war sie allein, und es tat ihr wohl, ganz still zu liegen und den armen zerschundenen Körper ruhen zu lassen. Gleichzeitig lauschte sie. Sie lauschte auf Schritte im Korridor. Jetzt mußte er doch bald kommen… Sie brauchte nicht lange zu warten.
Sie hörte die Schritte, dann Klopfen. Sie wandte mühsam ihren verbundenen Kopf und rief „herein“.
Dann war er da. Sein Haar war nun ordentlich zurückgekämmt und sein Gesicht wieder normal.
Er stand an ihrem Bett und sah sie an mit seinen blauen, ehrlichen Augen, die jetzt voll Kummer waren.
„Ich“, er brach ab und räusperte sich, „ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll, Fräulein Ryssel.“
„Nein, weißt du was“, kam es aus dem weißen Verband hervor, und die Stimme hatte plötzlich einen ganz anderen Ton, „jetzt sind wir gerade per du geworden, und nun fängst du wieder an, mich zu siezen. Das finde ich schäbig.“
„Ja, aber… das war doch, als ich… als Sie… als du…“
„Als ich, als Sie, als du
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